Andersnacht: Genug vom Unsichtbar sein. Fazit zum Jahresende.

Was für ein seltsames Jahr war 2020 bitte? Mir kommt es vor wie mindestens zwei Jahre. Die zwei Monate vor Corona, dann der erste Lockdown, der seltsame Sommer der Unvernunft – und nun – die zweite Welle mit Lockdown zu Weihnachten. Adventszeit ohne Weihnachsmärkte und Feiern dafür mit Alkohol für die Hände, Tests to go und Quarantäne-„Gemütlichkeit“.

Ziemlich ätzend war 2020 nicht nur wegen Corona, das freilich nahezu alles überschattet hat. Wenig erfreulich für Menschen mit Behinderungen und pflegende Angehörige ist dieses Jahr in mehrerlei Hinsicht gewesen:

• Das leidige IPReG (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungssgesetz), das trotz massiver Widerstände der betroffenen Menschen und Verbände erlassen wurde, steht ganz oben. Ich hoffe, dass alle, die durch dieses Menschenrecht verachtende Gesetz – das gegen die UN- Behindertenrechtkonvention verstößt – selbst in Bedrängnis geratenen oder deren Angehörigen, dies umgehend öffentlich machen und bsw. beim Ability watch IPReG Postkasten melden! Auch Intensivkinder zuhause e. V. setzt sich weiter dafür ein, dass alle Menschen, die Intensivpflege benötigen, diese daheim bekommen (mehr dazu hier) den Pflegenotstand herrscht weiterhin nicht nur ambulant, sondern auch in Einrichtungen!

• Parallel dazu gibt es Pläne für die nächste Pflegereform, die – wieder im Deckmantel der angeblichen Vereifachung der unsäglichen Bürokratie – Kürzungen für viele pflegende Angehörigen bedeutet und weiter in die Richtung „stationär vor ambulant“ zielt. Was doch genau umgekehrt sein sollte, um die Selbstbestimmung aller Pflegebedürftigen zu wahren! Auf den ersten Blick wirkt die Pflegereform 2021 so, als sollte das neue Pflegebudget mehr Leistungen zur Verfügung stellen und vor allem flexibler sein -doch weit gefehlt! (Das geforderte Entlastungsbudget zur Vereinfachung der in Anspruchnahme de Entlastungsleistungen wurde übrigens abgelehnt). Insbesondere für pflegende Eltern behinderter und kranker Kinder ist es unglaublich kontraproduktiv. Denn die Verhinderungspflege soll beschnitten werden! Ambulante Unterstützungen sollen generell erst voll gewährt werden, wenn mehr stationäre Leistungen, wie Kurzzeitpflege, in Anspruch genommen wird. Der fette Haken? Es gibt viel zu wenig Einrichtungen, die Minderjährige aufnehmen! Und für schwer behinderte Kinder mit Pflegegrad 4 oder 5 sowie lebensverkürzend Erkrankte ist das oft auch keine Option! Sie brauchen ihr Umfeld, ihre Hilfe zu Hause!!

Doch wir pflegenden Eltern sind weiter unsichtbar! Schaut euch die Homepage und Broschüren an vom Bundesministerium für Familien: So gut wie nirgends tauchen junge Pflegebedürftige auf! Selbst, wenn es um Teilhabe geht! Pflegebedürftig heißt weiterhin gleich alt im allgemeinen Verständnis und dem der meisten Bundestagsabgeordneten.

• Das sah und sieht man auch bei Corona. Konzepte zur Entlastung von Familien fehlen, das ist katastrophal. Aber pflegende Familien hängen noch mehr in der Luft. Ein schwer behinderter Jugendlicher, der autistisch ist und zu Selbstverletzung neigt wird aufgrund von Corona einfach mal so vom Internat heim geschickt. Kinder mit schweren Behinderungen, die weder selbst sitzen, essen oder sprechen können und für alles Unterstützung durch Alltagsbegleitung brauchen. Sie haben fast nirgends einen Platz in den Notbetreuungen, wenn ihre sonderpädagogische Einrichtung schließt. Auch bekommen die Familien aktuell meist keine Unterstützung, wenn chronisch kranke oder behinderte Jugendliche und Kinder zu Hause bleiben müssen aus Schutz vor einer Corvid Ansteckung in Hotspot Regionen. Es gibt keine Konzepte, weil sie unsichtbar sind!!! Beziehungsweise bewusst weg gesehen wird, denn das langjährige Bemühen von großen Verbänden wie dem bvkm und anderen kann nicht einfach so übersehen werden! Da muss man schon aktiv den Kopf drehen.

Auch die in der anhaltenden Pandemie zunehmend noch mehr überlasteten Kliniken bereiten uns pflegenden Angehörigen und Menschen mit Behinderungen zunehmen Angst, denn wird die Triage angewandt, sieht es nicht gut aus bei massiven Vorerkrankungen. Wie war das gleich? Jeder Mensch ist von Grund auf frei und gleich an Rechten?

Der neue wachstumsbedingte Reha-Buggy: Beratung, Test, KV und Beantragung, dann warten, Widerspruch schreiben, KV 2 beantragen, warten….September bis Dezember 2020 to be continued in 2021

• Trotz Lockdown hatten wir diese Woche gleich drei Termine bzw. besmaskte Besuche wegen der Anpassung neuer Hilfsmittel. Denn obwohl unser Räubersohn seine große Hüftoperation diesen Sommer hatte, ist er das Jahr über wirklich gut gewachsen und hat ordentlich zugelegt. Wir haben im Herbst zahlreiche Hilfsmittel getestet und beantragt, doch sie werden erst jetzt kurz vor Weihnachten langsam genehmigt!! Wenn die medizinisch notwendigen Hilfsmittel überhaupt genehmigt werden. Denn dieses Problem haben nahe zu alle Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen in Deutschland! Einzele Politiker*innen werden langsam darauf aufmerksam wie hier Schabernack mit dem Recht auf Teilhabe getrieben wird! Corona Rüffer kämpft auch hier wieder entschlossen auf der Seite der Betroffenen.

Wir haben es so leid, seid sechs Jahren immer das gleiche:

Mit der privaten Krankenversicherung mit dem großen D führen wir aktuell erneut leidige Telefonate. Sie verschlampen Arztbriefe, weigern sich dann Rechnungen wie vom SPZ zu begleichen, wollen mehrere Kostenvoranschläge, obwohl wir einen Versorger haben, der unseren Juniore gut kennt und zögern einfach alles hinaus. So wurde das neue Korsett nicht im Anhieb genehmigt und auch die Folgeversorgung des Badesitz mit Duschgestell erst nach dem MDK Gutachten. Derweil haben wir Rückenschmerzen und werden bestimmt noch bis nächstes Jahr warten dürfen, bis die benötigten Pflegehilfsmittel endlich geliefert werden.

Auch mit der Beihilfe des Landes Baden-Württemberg streiten wir schon wieder seit Wochen im Widerspruchsverfahren. Für den neuen Rehabuggy wollen sie nur das Rohgestell gerade noch die Räder übernehmen – nicht mal den Sonnenschutz und das Regendach oder die Gurtschoner und Bremsen. So wäre dieser Rollstuhlersatz völlig unbrauchbar für unseren hypotonen sechsjährigen Sohnemann, der nicht alleine sitzen kann und von Umweltreizen, wie hellem Licht und Kälte, Anfälle und einschießende Spastiken bekommt. Da möchte man den betreffenden Personen einfach nur wünschen, selbst einmal in so eine Lage zu kommen. Aber bevor die Galle zu sehr hochkocht, stecke ich meine Energie lieber in diese wichtige Petition die genau diese Missstände öffentlich machen und abwenden will: https://www.openpetition.de/petition/online/stoppt-die-blockade-der-krankenkassen-bei-der-versorgung-schwerst-behinderter-kinder-erwachsene-3 bitte unterschreibt auch ihr möglich gleich! Dazu gibt es auch eine einige eindrückliche Videos, die ihr gerne Teilen könnt: https://youtu.be/Elji85a_gmA

Sonst bereiten wir uns auf Weihnachten vor – wir basteln, backen, tanken Sonne gehen spazieren. Der Nikolaus war da und hat die Stiefel der kleinen Miss und die Orthesen des kleinen Königs gefüllt. Erbost bereits seit Ende Oktober wieder in Selbstschutz Isolation daheim und ich auch komplett im Homeoffice, während der MaPa lange Zeit mit FFP2 Masken unterrichten musste das er keine Freistellung erhielt. Jetzt im Lockdown vermisst die kleine wilde Maus schon wieder den Kindergarten und ihre Freunde und wir versuchen zu arbeiten und sie bei Laune zu halten… Für uns ändert sich an den Feiertagen nur wenig durch die Vorgaben. Denn für den Räubersohn und uns sind zu große Feste mehr Stress als Freude. Deshalb feiern wir schon lange in kleinen Grüppchen im engsten Kreis. Nur schade, dass wir unsere Freunde zum traditionellen pre-Xmas Brunch oder Glühweinfest nicht sehen dieses Jahr. Aber das wäre zu riskant. Immer mehr Leute, auch aus unserem näheren Umfeld, haben sich inzwischen angesteckt.

Ich fühle mit allen, die ihre Familien jetzt nicht sehen können oder um das Leben von ihren Lieben bangen. Leider endet mit dem Jahrswechsel nicht auch Corona, dazu müssen wir selbst vernünftig werden und Geduld haben.

Wir wünschen Euch allen soweit wie möglich schöne Weihnachten! Passt bitte auf euch auf!

Tut euch Gutes und lasst uns versuchen im neuen Jahr 2021 – statt uns grinchgrün zu ärgern – gemeinsam Widrigkeiten anzugehen und zu beseitigen.

Übrigens – heute erscheint ein Podcast Beitrag mit mir auf Nicole Reiters Seite, die als Psychologin pflegende Eltern coacht: „Die Familienlounche“ von https://anchor.fm/dienicolereiter Beitrag vom 20.12.2020.

UPDATE 27.12.2020:

Vor kurzem wurde eine Petition gestartet, die Auszüge aus diesen Blogbeitrag zitiert: https://www.openpetition.de/petition/online/keine-einschraenkung-der-flexibilitaet-von-verhinderungspflege-durch-die-pflegereform-2021 – leider zunächst ohne Kennzeichung bzw. Quellenangabe. (Ihr könnt nach Rücksprache mit mir gerne meine Texte verwenden, aber es gilt das Recht des geistigen Eigentums!) inzwischen hat die Petentin die Quellen ergänzt u. A. aufgrund meiner Aufforderung.

Die Pflegereform ist auch nicht nur schlecht… Aber bei vielen Punkten- wie eben der Verhinderungspflege – verbesserungswürdig! Den besten Überblick geben die engagierten pflegenden Angehörigen, die sich tief in die Materie eingearbeitet haben unter: www.entlastungsbudet.de

4 Kommentare zu „Andersnacht: Genug vom Unsichtbar sein. Fazit zum Jahresende.

Hinterlasse einen Kommentar