Kreisel, Kreisel dreh dich. Es geht immer weiter.

Die kleine Piratenprinzessin tanzt herum und singt in ihrer Da-da-Sprache. Ich summe das Kinderlied „Dreh dich kleiner Kreisel.“

Der Kreisel dreht sich weiter. Ich sehe verschwommen was um mich herum ist vorbei ziehen. Höre die klingende Melodie und taumele. Nur nicht umkippen. Weitermachen.  Im Lot bleiben.  Doch das Schlingern ist Teil des Kreiselstanz.

Dieses Bild sehe ich vor mir, so fühle ich mich seit einer Weile immer wieder. Mir ist schwummrig. Viel ist passiert im letzten Monat: Wir waren zum vierten Mal dieses Jahr stationär, was ziemlich anders ablief und uns, auch wenn der Aufenthalt nur 8 Tage dauerte, echt einiges an Nerven abverlangt hat.

Der kleine König ist vier geworden und wir haben ihm einen goldenen Festtag bereitet, so gut das einen Tag nach Entlassung geht. Wir waren beim ersten Kindergeburtstag in der Nachbarschaft eingeladen. Elternabende, Sitzungen, Termine bei Ämtern. Schöne Momente und geballter Alltag der Elternpflichten, denen wir nicht alleine hinterher hetzen. Nur verteilt sich als pflegende Eltern die Konzentration auf so Vieles. Und was man selbst als wichtig ansieht, kommt zu oft zu kurz, da die anderen am längeren Hebel sitzen.

Es hat sich einiges geändert und ist trotzdem irgendwie fast beim Alten geblieben. Das ist alles so verwirrend, irritierend. Es geht immer weiter – oder drehen wir uns im Kreis? Ist das etwas Positives? Das Leben geht immer weiter. Oder: Show must go on. Wir funktionieren. Ich möchte mich nicht nur fügen, abhaken was andere mir vorsetzen. Ich möchte mich gerne und aufmerksam um mein zwei Schätze kümmern. Aber es ist so oft ein Erledigen von To Do’s.  Die verdammte Liste wird nicht kürzer. Egal wieviel ich hinter mich gebracht habe, sie wächst weiter, rollt sich am Boden noch auf.

Und das alles zum Jahresende. Dabei hatten wir schon seit Frühjahr massiven Ärger mit der Versicherung und den Ärzten,  der die Energiereserven kontinuierlich leer gesaugt hat.

Die Kraft ist lange schon aufgebraucht. Doch der Kreisel dreht sich. Hilfsmittelanträge wollen bewilligt, Rechnungen bezahlt, Verordnungen besorgt, Arzttermine koordiniert werden. Dazwischen Laterne laufen und andere nette Familienaktionen im Kindergarten? Ich schlafe schon beim Abendessen fast ein. Selbst meine wenigen Hobbys, die doch auch Freude und Entspannung bringen sollen, stressen mich. Blöde Krankheiten kommen im unpassendsten Moment zurück.

Und das Komische – eigentlich haben wir gute Nachrichten bekommen. Doch fühlt es sich (noch) nicht so richtig danach an:

Wir haben tatsächlich noch in diesem Jahr einen Kinderintensivpflegedienst gefunden, der mehr Kapazität als unser bisheriger hat. Nur wollen sie nicht kooperieren – das bedeutet Ex oder Hopp. Wir können mehr Stunden bekommen,  auch weniger Lücken in der Versorgung, wenn wir unser altbewährtes Team opfern. Liebevolle Kinderkrankenpflegerinnen, die den kleinen Räubersohn teilweise schon über Jahre kennen und mir zur Seite gestanden sind. Da gibt es keinen guten Mittelweg. Das war eine so eine schwere Entscheidung und doch hatten wir keine Wahl. Wir haben gewechselt und sind jetzt noch lange von Normalität entfernt, weil das mehr ist als einfach ein Unternehmen gegen ein anderes zu ersetzen. Die Frauen fehlen auch als Menschen. Einziger Trost: Ich bin mir sicher das neue Team ist auch sehr gut und wird sich ebenso reinhängen. Und was mich auch betrübt: So schnell und plötzlich bekommt man bei einem Pflegedienst nur einen Platz, wenn ein anderes Kind verstirbt. Natürlich ist im Prinzip nichts anderes wie, wenn ein Angehöriger  durch die Organspende eines anderen weiterleben kann. Dankbarkeit mit traurigem Beigeschmack. Zumal wir mehrere Familien mit Lebenszeit limitierend erkankten Lieblingen kennen. – Das kann ich nicht täglich ausblenden.

Alles ist neu und wirkt befremdlich.  Alles muss sich einspielen. Nebenher soll der Alltag laufen und ich stehe oft neben mir,  fühle mich erdrückt, manchmal versteinert von all dem was noch zu tun ist. Es geht weiter…tröstlich? Oft beunruhigend. Ich verfalle zeitweise in Schockstarre.

Auch mein Herzensprojekt, das ich zu Jahresbeginn mit aus den Angeln hob, es hat sich sehr gewandelt.  Und doch finde ich Vieles daran richtig gut. Wir haben nun kein Buchcafé eröffnen können, dafür aber einen tollen kleinen Verein gegründet. Eine Initiative, die sich für Inklusion und Kultur einsetzt in Hölderlins Geburtsstadt. Und unsere erste Lesung gestern mit Marian Grau („Bruderherz. Ich hätte dir so gern die ganze Welt gezeigt“) war unglaublich. Dieser junge Kerl gibt mir soviel Mut, Vieles an ihm erinnert mich an mich selbst nur früher. Beim Moderieren des Gesprächs hatte ich das Gefühl seit langem einmal etwas zu tun, das richtig „meins“ ist. Mich für etwas einzusetzen das von Bedeutung ist und das auch gut zu machen. Ein Zuhause Gefühl.

Und heute bin ich wieder etwas wehmütig, hier daheim zwischen Wäschebergen, mit fieberndem König und hustender kleiner Miss, die trotzdem herum springt. Ich bin irgendwie wieder im Standby-Modus auf Sparflamme, weil die Energie einfach weg ist. Drehe mich weiter nur, weil es eben weiter gehen muss.

 

Des Lebens Wert: Wieviele Wochen, wieviel Gram(m) entscheiden? Gedanken zum Film 24 Wochen.

Letzte Woche feierten wir den Geburtstag einer jungen Frau aus unserer Verwandtschaft, die ich sehr ins Herz geschlossen habe. Sie hatte, ähnlich wie unser kleiner Räuber, Komplikationen bei der Geburt gehabt und niemand weiß genau warum. Ihre Entwicklung war deshalb ungewiss und jeder Schritt eine Herausforderung für sie und die ganze Familie. Heute kann sie soviel, wohnt jetzt sogar in einer WG und wir sind alle so stolz auf sie. Die junge Lady ist selbstbewusst und einfühlsam, einer meiner liebsten Babysitter. Zu unserem Sohn sag ich immer sie ist unser Idol. Ja, ein Mädchen mit Handicap ist unser Vorbild. Wie irritierend, dass an ihrem Geburtstag der Film „24 Wochen“ ins Kino kam. Er thematisiert das Tabuthema Spätabtreibung und ich habe ihn noch nicht gesehen, aber viel dazu gelesen und angehört u.a. das Interview mit seiner Regisseurin Anne Zohra Berrached.

Das fiktive Baby hätte (angeblich) Downsyndrom und eine Herzfehler. Ich muss an B* denken. Der inzwischen erwachsene Sohn einer guten Bekannten von mir. Immer wieder musste er und seine Eltern gefährliche Operationen mit m durchstehen, er wird sie als Fürsprecher immer brauchen. Der junge Mann wohnt inzwischen nicht mehr zu Hause, er ist sehr lebenslustig – spricht nicht, aber er reist. Wäre er das Baby in 24 Wochen gewesen, hätte er nie ein anderes Land oder einen Menschen kennen gelernt.

Der Film, der neben Spielfilmsequenzen auch dokumentarisch anmutende und improvisierte Sprechszenen mit echten Ärzten/innen enthält, soll nicht verurteilen oder rechtfertigen, erklärt Berrached. Es handelt sich um ihren Abschlussfilm an der Filmakademie Ludwigsburg.

Der Stadt in der unser Sohn auf der Neo-Intensiv die ersten Lebenswochen lag, beamtet und umgelagert wurde. (Befremdlich so viele Überschneidungen). Mit ihm waren viele Frühchen auf der Station, zarte zerbrechliche Wesen, die doch so oft eine ungeheure Stärke in sich tragen. Was ich dort erst erfuhr: Dass auch diese kleinen, eigentlich gesunden Babys ein erhöhtes Risiko haben, krank oder behindert zu werden. Bei manchen löst sich die Netzhaut, sie können erblinden. Andere haben Probleme mit der Lunge oder zur Frühgeburt noch einen Sauerstoffmangel erlitten.Die Ärtze/innen und die Krankenpfleger/innen Team tun was in ihrer Macht steht, um diese kleinen Geschöpfe zu retten. Manche sind erst in der 23, 24 oder 25 Woche – und das ist der Moment, der mich sehr nachdenklich macht.

In Deutschland ist eine Spätabtreibung aufgrund einer Behinderung bis zur Geburt möglich. Das Kind im Spielfilm wird in der 24 SWS abgetrieben. Eigentlich ist der Begriff eine Verharmlosung. (Bei einer Gewalttat gegenüber einer Schwangeren gilt es als Totschlag, wenn es das Ungeborene nicht überlebt.) Diese Spätabtreibung erfolgt in der Regel durch eine Giftspritze ins Herz. Das Kind, das als künstlich erzeugte Totgeburt zur Welt kommt, hätte als Frühgeburt vielleicht schon leben können.

Besonders fragwürdig und bedenklich finde ich, dass die Pränataldiagnostik heute noch so oft daneben liegt! Zwei Freundinnen von mir wurde in den letzten Jahren mitgeteilt ihr Kind wäre behindert oder schwer herzkrank. Beiden rieten die Mediziner zu einer Schwangerschaftskonfliktberatung zur Vorbereitung einer möglichen Abtreibung. Doch sie lagen Gott sei Dank daneben. Die Kinder sind heute gesund, sie leben, weil die Mütter ihrem Bauch vertrauten.

Die Entscheidung in dieser fortgeschrittenen Schwangerschaftsphase gegen das Kind wird immer ein Trauma hinterlassen – es ist wie eine Fehl- oder Totgeburt, ein furchtbarer Moment der Verlust des eigenen Kindes. Verwandte von uns durchlitten das. Ihre Ehe zerbrach daran, sie leiden noch heute unter der Entscheidung, fühlen Schuld und Ohnmachtsgefühle, wenn sie an damals denken.Warum werden Eltern in so einer Dilemma-Situation alleine gelassen? Weshalb besteht diese unmögliche Ausnahme-Option? Warum kann ein schwer krankes Kind nicht zu Welt kommen und falls es wirklich nicht lebensfähig ist, dann in Frieden sterben? Haben Menschen ethisch gesehen das Recht einem (vermeintlich) behinderten oder chronisch krankem Kind  – zu diesem späten Zeitpunkt der Schwangerschaft – sein Lebensrecht abzusprechen?

Es gibt keine Garantie auf für ein gesundes Kind für niemanden, manche Babys werden zu früh geboren und sind dadurch behindert, bei manchen genetischen Defekten wird das erst im Laufe der Jahre sichtbar. Andere haben einen Unfall im Kindesalter, eine OP geht schief…. unser Sohn war gesund. Keine Komplikationen gab es in der Schwangerschaft, keine Warnsignale,  erst die Geburt löste seine Behinderung aus. Manche Eltern mit behinderten Kindern sagen, sie wollen auf keinen Fall ein zweites Kind das behindert ist. Ich verstehe sie, verstehe auch die Eltern im Film. Aber ich fühle für mich, dass ich es nicht richtig finde. (Man kann ähnlich wie bei der Debatte um die Burka gegen die Burka und auch ihr Verbot gleichzeitig sein.) Es schmerzt einfach. Ein Kind mit Behinderung ist und bleibt ein Kind, ein Geschenk – aber auch eine teilweise erdrückende Aufgabe mit ihm den Alltag und Krisenzeiten zu erleben und überleben.

WANN IST EIN MENSCH EIN MENSCH? Ab wievielen Wochen zählt ein Menschenleben, ab wieviel Gramm ist ein Leben ein Leben?

Gram löst jede Entscheidung aus.

 

 

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