Funkeln in Dämmerung. Wie mich die Anderswelt verändert hat.

Die letzten Monate habe ich mich ja sehr selten selbst zu Wort gemeldet hier und auch nicht besonders viel vom Räubersohn und uns erzählt. Dieser lange düstere Winter hat mich ganz schön geschafft. Schon im November fühlte ich mich total erschöpft und wusste nicht woher ich die Kraft für unseren Alltag, all die sich wiederholenden kleinen und großen Gefechte nehmen soll. Dabei denken Außenstehende ich wäre total Energiegeladen, bei all den Aktionen, die der Mapa und ich in letzter Zeit angeleiert haben. Dabei war es eher ein Augen zu und durch, der Versuch statt zu jammern und zu resignieren etwas zu bewegen. Ein paar motivierte Pflegekräfte für den kleinen König zu finden, seine Betreuung im Kindergarten sicher zu stellen und als pflegende Eltern Ernst genommen zu werden. Wir wollen kein Mitleid, sondern die nötige Unterstützung, um weiter für unsere beiden Kinder da sein zu können. Unser viertes Jahr in der Anderswelt. Die Zeit hat viel mit mir gemacht, manchmal erkenne ich mich selbst kaum wieder, wenn ich müde, traurig und entnervt bin. Die Pflege zehrt mich auf, keine Veränderung oder größere Fortschritte, die uns Mut machen, dass sich die Situation noch verändert und der Junior doch ein bisschen selbstständig wird.

》Wenn du einen schwarzen Stein findest, reibe ihn solange bis er glänzt《


Aber es gibt auch Lichtblicke, immer wieder ein Funkeln in der Dämmerung. Denn ich habe nicht nur Federn gelassen, sondern auch einiges gelernt seit dem Tag X. So musste ich zwangsläufig lernen mich nicht kleinkriegen zu lassen. Manchmal kriege ich Angst zu verbittern von den vielen Kämpfen und Tiefpunkten.

Doch ich weiß auch was ich leiste – tagtäglich. Darauf bin ich stolz. Auch dass der MaPa und ich zusammen halten und an einem Strang ziehen wenn es wieder mal Dicke kommt, wie in diesem Op lastigen Frühjahr.

Als Doktorandin vor der Geburt des Räubersohnes hatte ich große Selbstzweifel, das Gefühl zu wenig zu leisten. Nicht zuletzt, weil mir immer wieder Unverständnis für meine wissenschaftliche Tätigkeit entgegengebracht wurde, meist von Leuten, die alles außerhalb eines „nine to five“ Jobs nicht als „richtige Arbeit “ ansehen (auch meine Publikationen und Vorträge zählten nicht). Jetzt fand ich den Mut einen Strich zu ziehen.

Heute, als pflegende Mutter, denken einige ich führe – abgesehen von den gelegentlichen Klinikaufenthalten – ein nettes Hausfrauenleben. Schöne Unwissenheit oder Ignoranz? Eigentlich egal…Ich setze mich ein für die und das was mir wichtig ist. Und versuche zum Entspannen etwas kreativ zu sein, ein bisschen Sport zu machen oder zu naschen – ohne Druck und Schuldgefühle. Mir ist inzwischen relativ Schnuppe, wenn es zu Hause chaotisch aussieht. Hausarbeit ist schließlich nicht mein vorrangiger Daseinszweck.

Doch ich bin auch nicht mehr so unbefangen und optimistisch wie ich es früher war.
Im Herbst 2016 als der Räubersohn in den Kindergarten kam, war ich hoch motiviert und zuversichtlich in einen neuen Job als Quereinsteigerin gestartet. Leider lief es nicht rund und durch die Schwangerschaft mit der kleinen Miss war ich dann endgültig raus. Das hat mich jetzt eine Weile belastet, nicht einfach zurückkehren zu können wie andere Mütter zu dem mit unzuverlässigen Betreuungstagen des Großen.

Nun, immerhin habe ich gelernt was mir wichtig ist: Zeit für meine Lieben und mich, mich für unsere Rechte als pflegende Angehörige und Menschen mit Behinderungen einsetzen und mich für weiterhin, für andere stark zu machen, die Unterstützung brauchen –  einfach, weil es mir am Herzen liegt und ich weiß, dass es richtig ist!

Dazwischen nehme ich mir raus Dinge abzusagen. Geburtstagsfeiern und anderes zu streichen, wenn mein Akku wieder mal leer ist und ich keine Nerven für Smalltalk habe. Dieser gesunde Egoismus ist Selbsterhaltung und gute Freunde verstehen das und bestärken mich.

Gerade bin ich dabei mit einer Bekannten ein neues Projekt aus den Angeln zu heben: „Hölder inklusiv“ heißt es und es wird ein besonders Buchcafé, ein Jugendtraum von mir. Dort werde ich mich nach meiner Elternzeit stundenweise einbringen. Etwas Arbeit außerhalb der eigenen vier Wände und der Care-Tätigkeit – umgeben von Büchern, Kaffeeduft Gespräche führen über Gott und die Welt. So ist mein pädagogisches Studium in Literatur und Philosophie doch noch zu etwas zu gebrauchen!

Außerdem wollen wir im Hölder Buchcafé langfristig Qualifizierungsangebote und – im Idealfall- auch Jobs für Personen schaffen, die es sonst schwer haben auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen u.a. aufgrund von Behinderung, Herkunft, Alter oder familiärer Situation – was auch auf eine pflegende Mutter zutrifft.

Wenn mal wieder der Pflegedienst ausfällt, könnte ich den kleinen König sogar mit dorthin ins Buchcafé nehmen, denn wir werden alles barrierefrei umbauen. So der Plan, der hoffentlich Stück für Stück Realität wird.

Manchmal muss man wagen zu träumen.  Es gibt nichts zu verlieren.

》You may say that I’m a dreamer but I’m not the only one. I hope someday you’ll join us.  And the world will be this way.《

Good Old ~ John Lennon ~

Blogparade -Was ich mal tun will, wenn er groß ist (oder werden würde?)

Gerade bin ich auf die Blogparade von Patricia gestoßen „Was ich noch alles tun möchte, wenn mein Kind groß ist“ und habe begonnen ihr eine Antwort ins Kommentarfeld zu schreiben. Doch die wurde länger und länger… jetzt hier außer der Reihe mein Beitrag zu deinem Aufruf:

Liebe Patricia,

du hast dir echt einiges vorgenommen! Ich muss gestehen, zuerst dachte ich bei der Überschrift, „Mist, da kann ich eh nichts dazu bei tragen mit meinem Blog. Schließlich wird unser Kleiner nie groß,  also im Sinne von selbstständig sein.“ (Unser Sohn ist von Geburt an schwer behindert und chronisch Nieren krank). Aber weißt du was, jetzt wenn ich deine Punkte sehe, bin ich ganz froh weiter gelesen zu haben. Wie witzig, der „Wer wird Millionär“-Wunsch! Bis auf diesen haben wir ganz ähnliche Wünsche und Sehnsüchte. Ich war ganz verblüfft, bei ein paar Punkten gelingt es mir sie – zumindest Ansatz weise – jetzt schon umzusetzen.

Im ersten Jahr war bei uns mit all den Klinikaufenthalten und Arztterminen auch furchtbares Chaos. Da war definitiv nicht an ein gutes Essen oder schön gemeinsam Kochen zu denken die meiste Zeit. (Ok während er Intensiv-Krankenhaus Phase nahmen wir uns ab und an auf „Befehl“ der Oberschwester eine Mittagsauszeit bei Italiener. Drei Monate Krankenhaus Essen machen wirklich nicht besonders glücklich… ). Und inzwischen, jetzt wieder ein Jahr später, genießen wir die kulinarischen Breaks, die wir – wie an Silvester oder das Adventsbrunch oben – auch mal mit den Großeltern oder unseren Freunden zelebrieren. Meist übernimmt dann einer die Kinderpflegeschicht und der andere zaubert etwas Leckeres, gerne mit Zutaten aus der Ferne, wie Pandam Blätter, Maronenmus, Kreuzkümmel. Denn früher sind wir beide sehr gerne zusammen gereist. Jetzt lieben wir immer noch exotisches Essen, Tapas, Currys, marokkanische Tajine hmm. Erst gestern hat mein Mann mir eine tolle Kannichenpfanne gekocht, wie er sie vor einigen Jahren in Mexiko probiert hat. Das war genial und ein gutes Essen ist doch auch irgendwie wie ein Kurzurlaub oder? (Vielleicht stelle ich in Zukunft doch ein paar Rezepte, wie meine Anti-Frust-Pasta hier ein 🙂 ) Gelegentlich geben wir den Zwerg auch zu Oma und Opa und gehen schön Essen, thailändisch zum Beispiel , eines meiner Topsehnsuchtsländer. Einmal als Geburtstagsgeschenk war sogar eine Thaimassage vorher drin. Eigentlich habe ich immer davon geträumt meine Rucksackreise noch mal mit Mann und Kind zu wieder holen. Aber im einem jungen gehbehinderten Epileptiker, der nicht spricht und jederzeit wieder zurück an die Dialyse kommen kann. Nein, das wäre zu viel Nervenkitzel für meinen Geschmack. Immerhin, das mit dem Kochen oder Essen klappt bei uns gelegentlich, Patricia.

Ich schaue weiter auf deiner Liste und sehen Turnen. Das passt natürlich prima, denn wer gerne isst, hat nicht selten zu viel auf den Hüften. Und stell dir, vor ich habe es gewagt und mit meinem kleinen Sohnemann Babysport gemacht. Wir mussten zwar, obwohl er mit Abstand der Älteste von allen Kids war, zweimal in den Neugeborenen Kurs von „Fit Dank Baby“ gehen, aber das war es mir wert. Dort fiel auch kaum auf, dass er so mini (für sein Alter) ist, nicht krabbelt oder brabbelt. Klar, hat er mit ein paar Spuckeinlagen für „Stimmung“ gesorgt, aber das passierte den anderen, meist stillenden Mums, mit ihren Kleinen auch einmal. Ich kam dort auch neben dem Schwitzen auf andere Gedanken. Und der Räubersohn hat das Tanzen im Tragegurt zur Musik geliebt!

Jetzt bin ich sogar etwas stolz, muss ich gestehen. Mit einem Kind dessen Gesundheitszustand immer wieder kritisch ist und einem viel abverlangt, lernt man im Idealfall als Eltern auch etwas nach sich zu schauen. Denn unsere Akkus müssen lange halten.  Aus dem Gröbsten raus gibt es bei einem Kind mit Cerebralparese, das nicht redet oder selbstständig essen kann, wohl nicht. Deshalb versuchen wir die Feste zu feiern, wie sie fallen. Und aus dem Jetzt, das Beste zu machen. Gerade haben wir eine gute Phase, wer weiß wie lange sie dauert?

Wovon ich träume, wenn mein Kind groß , also dem Alter nach erwachsen ist? Ich hoffe inständig ihn in seiner eigenen Wohnung (oder notfalls bei uns zu Hause ins einem eigenen Reich) besuchen zu können, bei relativ guter Gesundheit. Dass unser Sohn ein halbwegs selbstständiges Leben führen kann, vielleicht mit einem coolen Pfleger, der mit ihm zu Konzerten oder Festivals geht oder sogar einer Freundin.  Das wäre wundervoll. Dann könnte ich auch wieder an einen spannenden, fordernden Job an einer Hochschule nachdenken oder schöne Urlaube zu zweit. Das wäre die Grundbedingung. Dann können die Träume kommen.