Reihe pflegende Väter – andere Wege: Christian von EinzigNaht.

Die Abstände meiner Blogbeiträge sind weiterhin groß  – doch wie ihr bestimmt auf meinen anderen „Kanälen“, wie Instagram und co. gesehen und gelesen habt, ist es nicht von ungefähr ruhig auf dem Blog gewesen: Ich durfte Rede und Antwort als bloggende, pflegende Mutter im Rahmen von zwei medienpädagogischen Seminaren stehen, wurde zum Mitmachen beim Podcast Wegbegleiter von der Palliativcare Landesstelle eingeladen und konnte einen kleinen Beitrag für die erweitere Neuauflage des wunderbaren Elterratgebers von Susanne Bürger „Wenn das Leben intensiv beginnt“ beisteuern. Bald gibt es auch wieder eine Protestaktion der Pflegerebellen, nämlich am 04.04.2020 in Ludwigsburg. 

Und nun freut es mich euch endlich wieder einen Gastbeitrag in meiner „Papa Reihe“ vorstellen zu dürfen.

Christian Boris Brunner und seine Familie sind gleichzeitig auch eine neue Serie wert, – die ich „andere Wege“ nenne, denn sie haben es geschafft sich neu zu (er-)finden und das nicht trotz, sondern gerade wegen der Behinderung bzw. des Syndroms das ihre jüngere Tochter Laura (4) hat.  Zur Familie gehören noch ihre ältere Schwester Yasmina (11) und Mama Sandra. 

In diesem Interview geht es deshalb nicht nur um Christian und sein Leben als special-needs-Vater, sondern auch um seine Frau, da sie beide zusammen ein inklusives Unternehmen, einzigNaht auf die Beine gestellt haben. Sie fertigen maßgefertige Kleidung für Kinder mit Behinderung und Erkrankungen in Hamburg.

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 Was für eine Behinderung hat eine eure jüngere Tochter?

Unsere Tochter Laura hat das seltene Williams-Beuren-Syndrom. Es tritt mit einer Häufigkeit von ca. 1:10.000 ein und entsteht durch den Verlust von genetischem Material auf dem Chromosom 7. Da es auch noch heute nur wenige Ärzte kennen, wurde das Syndrom bei Laura erst durch Genanalyse vor ca. zwei Jahren entdeckt. Davor wussten wir schon, dass sie besondere Bedürfnisse hat, wurden aber leider nicht immer ernst damit genommen. 

Wie lange pflegst du schon eure Tochter mit? 

Als unsere Tochter Laura auf die Welt kam, veränderte sich von heute auf morgen unser Leben. Wir haben uns wahnsinnig gefreut, Laura in unsere Mitte zu nehmen. Allerdings war sie bei der Geburt sehr zart und ultradünn und – obwohl sie über dem Stichtag geboren wurde – hatte sie viele Anzeichen eines Frühchens. Meine Frau beschreibt sie manchmal wie ein ‚Skelett im Hautmantel‘. Laura schrie täglich sehr viel, teilweise bis zu 12 Stunden am Tag und hatte einen Betreuungsbedarf von 20 Stunden pro Tag (!). Laura hat alles in ihrer Umgebung, was neu war als Bedrohung empfunden. Wir hatten das Gefühl, dass sie neuen Reizen, fremden Stimmen, Geräuschen nur schwer verarbeiten konnte. Deshalb war Besuch, Autofahren oder gemeinsam mal in die Stadt gehen überhaupt nicht möglich. Wir waren gefangen Zuhause in unseren vier Wänden und froh, wenn mal ein kurzer Spaziergang mit dem Kinderwagen ging. Insofern pflegen Sandra und ich Laura seit ihrer Geburt an. 

Ihr tragt viel Verantwortung als pflegende Eltern. Wie habt ihr die Care-Arbeit zu Hause aufgeteilt? 

Anfangs hat sich meine Frau Sandra rund um die Uhr um Laura gekümmert und ich habe noch Vollzeit als Manager gearbeitet – oft mehr als die üblichen Arbeitszeiten. Als ich dann nach Hause kam, ist Sandra oft gleich ins Bett mit Laura gegangen und ich habe mich um unsere große Tochter gekümmert und den Haushalt gemacht. Das war ein absoluter Alptraum. 

Als wir dann merkten, dass dieser Zustand nicht vorübergehend ist, sondern Alltag für uns, haben wir uns privat und beruflich komplett neu erfunden. Das ging nicht von heute auf morgen. Wir haben uns aber Schritt für Schritt ein Leben mit den beiden Kindern aufgebaut, das alle Bedürfnisse unter einen Hut bringt. Ich habe zunächst meinen Vollzeit-Job gekündigt und Sandra und ich haben beide halbtags als Angestellte gearbeitet. Das hat uns beide entlastet, und wir konnten uns gegenseitig unterstützen und sozusagen „auf Lücke“ arbeiten. Und dann haben wir uns in kleinen Schritten eine Selbständigkeit aufgebaut und das Startup einzigNaht gegründet. Denn als pflegende Eltern war für uns ein ‚normaler‘ Job mit geregelten Arbeitszeiten nicht mehr möglich war – für keinen von uns. Neben einzigNaht arbeite ich seit 2019 noch als Berater für Branding und Marketing für andere Startups sowie für mittelständische Unternehmen. Wir möchten unsere Erfahrungen als Gründer weitergeben und ebenso mittelständischen Unternehmen helfen, sich weiter zu entwickeln. Denn mehr und mehr möchten Mitarbeiter wissen, welchen Sinn ein Unternehmen verfolgt. Und ich glaube fest daran, dass dies ein Erfolgsfaktor für Unternehmen ist und motivierend auf Mitarbeiter in ihrem Tun wirkt.

Wenn ein Kind schwer erkrankt oder behindert ist, wirbelt es die ganze Familie auf. Siehst  du auch positive Aspekte darin, dass euer Leben auf den Kopf gestellt wurde?

Da hast Du absolut recht. Es hat nicht nur unsere Familie aufgewirbelt. Es war ein richtiges Erdbeben. Und kostet Dich unglaublich viel Kraft.

Kraft setzt umgekehrt neue Energie frei

Was mich verwundert: Die Liebe zu Deinem Kind kann Dir noch soviel abverlangen, es werden unglaublich viele Kräfte in Dir frei. So schläft Sandra bis heute – seit über vier Jahren – nicht mehr nachts durch, bei mir ist es ähnlich. Und doch schaffen wir es immer wieder morgens aus dem Bett zu kommen, unseren Alltag zu meistern. Wir freuen uns sogar auf den Tag. 

Ich persönlich hätte nie gedacht, was alles möglich ist. Ich kannte diese ganzen schlauen Sprüche wie „wenn Du es nur ganz tief in Deinem Innernsten willst, dann schaffst Du das“ schon früher. Allerdings am eigenen Leib zu erfahren, wieviel Kraft und Energie wir an den Tag legen können, wenn Du einfach dazu gezwungen bist, ist ein unglaubliches Gefühl. Wir hatten Tage, da wussten wir nicht, wie es bei uns in zwei, drei Monaten finanziell weiter gehen soll, mal ganz abgesehen, dass du nie weißt, wie es mit Deinem pflegebedürftigen Kind nächste Woche aussieht und wie Du Dein anderes Kind und seine Bedürfnisse unter einen Hut bekommst. Wir wussten aber, dass es – wie es in unserer damaligen Situation anfangs war – nicht mehr weitergehen kann. Dabei haben wir ein so tiefes Vertrauen in die Zukunft, in unsere Partnerschaft, in unsere Familie gewonnen, obwohl wir quasi „in der Luft hingen“ und keine Hilfe und Unterstützung bekommen haben. Und kurze Zeit später haben sich dann wieder neue Möglichkeiten ergeben und Lösungen aufgezeigt oder wir haben einfach neue Ideen gehabt. Der Glaube an eine Zukunft, die Hoffnung auf eine Lösung kann wirklich unglaubliche Kräafte freisetzen. 

Teilen mit anderen Eltern ist unglaublich

Wir stehen viel im Austausch mit anderen Eltern, die ein pflegebedürftiges Kind haben. So sind wir bspw. dem Bundesverband Williams-Beuren-Syndrom e.V. sehr dankbar für sehr viel Wissen über das Syndrom unserer Tochter, den Austausch in der Facebook Gruppe dieses Vereins oder der Facebook Gruppe ‚Papas mit behinderten Kindern‘. Die Hilfe, die wir von anderen betroffenen Eltern erfahren, das Teilen von Wissen aber auch das Verständnis bringt Dir viel Rückhalt und gibt einem ganz viel Kraft. Wenn wir bei Anträgen und Ablehnungen in Frust verfallen, helfen einem diese Leute mehr als jeder Sachbearbeiter oder Inklusionsbeauftragter. Denn sie verstehen Dich, sie fühlen mit Dir, sie denken mit, wenn Du und Dein Kind was brauchst. Denn sie kennen diesen Frust und das „sich alleine gelassen fühlen“ genauso. Sie lassen sich aber genauso wenig unterkriegen. Das ist großartig und wir sind sehr dankbar für diese tollen Menschen. Denn sie haben wirklich keine Zeit und helfen Dir trotzdem. Sie wissen warum. Sie kämpfen genauso für ihr eigenes Kind mit den gleichen Hürden und stereotypen Vorurteilen in unserer Gesellschaft. 

Was kostet dich die meiste Kraft und welche Umstände sollten sich deiner Meinung nach – gerade als pflegender Papa – dringend ändern?

Wenn Du ein pflegebedürftiges Kind hast, ist das am Anfang ein Schock für Dich. Das Leben verändert sich und Du wirst ganz schön gefordert – sowohl körperlich als auch psychisch. Das bestätigt Dir jeder. Du fühlst Dich, als würdest Du einen Marathon laufen, bei dem Dir alles abverlangt wird. Nur mit dem Unterschied, dass Du ständig Bleigewichte noch ans Bein gebunden bekommst – in Form von neuen Anträgen der verschiedensten Behörden, Bestimmungen, Gesetzen, unverständlichen Regelungen, Annahmen, die nicht der Realität entsprechen oder Vorgaben, die Du nicht im Alltag bei der Pflege umsetzen kannst usw. 

Es gibt leider einige Punkte, die wirklich noch in den Kinderschuhen in unserer Gesellschaft sind und dringender Handlungsbedarf besteht. Grund dafür ist auch, dass diejenigen Menschen, die die Gesetze und Regeln machen und meinen Dir dann noch Empfehlungen geben zu können, gefühlt gar nicht wissen, was ein Leben mit einem eine pflegebedürftiges Kind im Alltag für Dich und Deine ganze Familie bedeutet.

  1. Ein Fürsorgegehalt wäre so wichtig für Eltern pflegebedürftiger Kinder

Neben den extremen Anforderungen an die Pflege Deines Kindes, hast Du schnell finanzielle Existenzängste. Wenn Dein Kind in ein Heim kommt, das wird das bezahlt. Viele tausend Euro werden direkt dafür bezahlt! Sobald Du Dich aber entscheidest, Dein Kind zu Hause zu pflegen, fällt mindestens ein Familieneinkommen weg und teilweise sogar noch ein Drittel des zweiten Einkommens. Das Pflegegeld sind ein paar hundert Euro, die Du schon brauchst um bestimmte Hilfsmittel für Dein Kind zu kaufen, die nicht von der Krankenkasse bezahlt werden. Diese finanziellen Ausfälle werden nicht aufgefangen und bringen Dich in eine sehr kritische Lage. Du hast neben den Sorgen um Dein Kind Sorgen wie es finanziell weiter geht. Es wird zwar für die pflegende Person die Kranken- und Rentenversicherung übernommen, aber das war es dann auch schon. Die Anträge für die verschiedensten Ämter alleine sind schon ein enormer Zeitaufwand und überall klagen die Ämter, dass sie überlastet seien. Haben die vielleicht mal überlegt, was mit uns als Eltern ist? Sie bitte uns noch um Verständnis, obwohl wir nun die Unterstützung der Gesellschaft brauchen! (Wir haben nicht dafür HIER gerufen, werden oft aber so behandelt!). Es wäre wunderbar, wenn zumindest diese Angst, neben den Sorgen über das Kind, nicht mehr da wäre. Ich finde es unerträglich, wenn sich Eltern nur deswegen für ein Heim entscheiden müssen, weil es nur so finanziell möglich ist. Das ist ein schrecklicher Gedanke!

2.  Nicht nur reden, sondern auch tun! 

Viele Politiker reden über Inklusion, aber leider kommt wenig an der Basis unserer Gesellschaft an. Was aber viel schlimmer ist, ist oftmals der Umgang mit Menschen mit Behinderung und deren Angehörigen. Obwohl Dein Kind eine Diagnose hat – und wie in unserem Falle sogar unter Ärzten und beim Bundesverband Williams-Beuren-Syndrom e.V. viel über das Syndrom, den Bedarf der Kinder, mögliche Förderungen und Entwicklungen erforscht und belegt sind, müssen wir fast immer dafür kämpfen, dass Dein Kind diese Fördermittel oder Förderungen auch bekommt. So war bei uns bspw. trotz frühzeitiger Antragstellung (3 Monate vor Kita-Beginn) kein Arztbesuch beim Amtsarzt für die Einstufung unserer Tochter möglich. Umgekehrt sitzen wir heute noch auf Kosten, die der Staat uns in Rechnung stellt, weil genau dieser Artzttermin NACH dem Kita-Beginn war. Das ist gesetzlich falsch, es wurde allerdings so von einem Amt entschieden. Da musst Du dann gleich einen Anwalt einschalten, denn bis heute haben wir z.B. keine Antwort auf unseren Widerruf. Wir kennen viele andere Eltern mit pflegebedürftigen Kindern, die ständig Anwälte einschalten müssen, nur um das geltende Recht für ihr Kind auch zu erhalten. Das kostet nicht nur viel Geld, sondern insbesondere viel Zeit – die Du nicht hast!

3. Anträge folgen dem Prozess des Passierscheins A38 von Asterix und Obelix 

Wir – und jede andere Familie mit pflegebedürftigem Kind, die wir kennen – müssen für ALLES einen Antrag stellen. Und diese Antragstellungen sind ein Kampf. Es ist vergleichbar mit dem Passierschein A38 bei Asterix und Obelix. Nur mit dem feinen Unterschied, dass die meisten Mitarbeiter in öffentlichen Einrichtungen, die Deine Anträge bearbeiten darauf hinweisen, dass sie überlastet seien. Dass Dein Kind aber keine Wochen, Monate auf ein Hilfsmittel warten kann, weil es das Hilfsmittel JETZT braucht, interessiert keinen.

4. Bittsteller anstatt Antragsteller 

Wir fühlen uns sehr oft als Bittsteller für unsere Tochter, wenn wir einen Antrag für etwas stellen, was sie dringend braucht. Dabei leben wir in unserer sozialen Marktwirtschaft, in der die Schwächeren besonders unterstützt werden sollen. Wenn Du gute Steuersätze bezahlst und entsprechende Krankenkassen-Gebühren, wirst Du darauf verwiesen, dass Du zur sozialen Marktwirtschaft beiträgst. Bist Du aber jetzt in einer Situation, wo Dein Kind etwas braucht, dann ist das ein ganz mieses Gefühl. Denn ganz oft wird Dir und Deinem Kind kein Respekt entgegen gebracht. 

Viele Sachbearbeiter behandeln uns wie lästige Bittsteller, von deren Urteil wir abhängig sind. Oft fühlt es sich wie reine Willkür an, ob etwas genehmigt wird oder nicht. Es ist ein absolutes Gefühl der Scham, ständig Anträge schreiben zu müssen und fast immer mit unsensiblen Antworten von nicht dafür geschulten Sachbearbeitern konfrontiert zu werden. Dabei ist bspw. klar, dass das Syndrom unserer Tochter ein Leben lang sie begleiten wird. Trotzdem musst Du immer wieder gleiche Anträge über die Jahre hinweg stellen. Wenn ich es nicht für meine Tochter machen würde, dann hätte ich es für mich selbst wahrscheinlich schon eingestellt, weiter Anträge zu stellen. Aus reiner Scham, so behandelt zu werden.

5. Fachkenntnis von Sachbearbeitern wäre toll

Wir erleben immer wieder, dass Sachbearbeiter bei Kranken- oder Pflegekassen oft noch nicht mal das Williams-Beuren-Syndrom und die Auswirkungen auf einen Mensch kennen, aber darüber entscheiden, ob unsere Tochter ein bestimmtes Hilfsmittel braucht oder nicht. Sie informieren sich noch nicht mal über das Syndrom oder lassen sich Unterlagen dazu von uns zur Verfügung stellen. Es wird nach Aktenlage ohne wirkliche Kenntnis entscheiden. Das ist manchmal wirklich erschreckend. Deshalb plädiere ich an Herrn Spahn, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, denn es kommt mir so vor als würde der Architekt entscheiden, was ein Bauer bei dem Wetter von übermorgen bitte heute anbauen soll. Dabei brauchen wir Fachkompetenz damit jeder in unserer Gesellschaft die individuelle Unterstützung, die er oder sie braucht.

6. Bitte kein Mitleid 

Menschen mit Einschränkungen im Alltag wollen kein Mitleid, sie wollen nicht angestarrt werden. Sie kennen ebenso diese betroffenen Pausen in einer Unterhaltung. Die wollen sie auch nicht. Sie möchten genauso wie Du und ich am Leben teilnehmen, Freude am Leben haben. Behinderung ist nichts Trauriges, nichts Schlimmes. Aber wir machen es zu oft dazu. Weil wir noch viel zu unflexibel, zu ungezwungen mit besonderen Situationen umgehen. Systeme in unserem Gesundheitssystem sind starr, standardisiert und nur schwer zu ändern. Allerdings hat unser Gehirn die wundervolle Fähigkeit höchst flexibel zu sein, sich ständig verändern zu können: Lasst uns diese tolle Fähigkeit im Alltag einsetzen und flexibel auf Menschen mit Einschränkungen reagieren, ohne Vorurteile oder vorgefertigte Meinungen. Sie haben ein Recht darauf. Und sie werden Euer Leben bereichern, wenn Ihr Euch darauf einlasst.

7. „Ich könnte das ja nicht“

Viele Eltern sagen uns immer ein „Ich könnte das ja nicht“, wenn sie von dem Syndrom unserer Tochter Laura hören und von der Situation. Aber wir haben uns das nicht ausgesucht und mussten die Situation einfach so nehmen wie sie ist. Da hast du KEINE WAHL. Egal ob Du es könntest oder nicht. Deine Liebe zu Deinem Kind ist größer. Und ob du es könntest oder nicht, das kannst du erst dann sagen, wenn Du die Situation selbst durchläufst. Mal davon abgesehen: Was ist die Alternative? Ein Kind dafür abzutreiben oder zur Adoption frei geben? Das könnte ich ehrlich gesagt nicht!

8. Kinder nimmst Du nicht aus dem Regal und legst sie wieder zurück, wenn sie Dir nicht gefallen oder nicht Deinen Vorstellen entsprechen!

Ein Kind gibt es nie so, wie Du es Dir gerne im Bilderbuch aussuchen willst. Viele Eltern selektieren heute schon Kinder vor, entscheiden, ob sie das Kind der Welt fernhalten, nur weil es vielleicht eine Behinderung hat. Krankenkassen unterstützen diesen Prozess des Aussortierens leider heute bereits! 

Aus meiner Sicht hat kein Mensch ein Recht, ein Kind im Mutterleib zu töten, nur weil er andere Pläne im Leben hat. Denn die Aufgaben kommen zu Dir als Mensch. Nicht umgekehrt! Ich glaube ganz fest daran, dass es für alles eine Lösung gibt und wenn nicht, hast Du die Fähigkeiten genau diese Lösung zu finden. Denn es gibt einen Grund, warum du mit einer besonderen Situation im Leben konfrontiert wirst. 

Mein Leben hat sich grundlegend geändert. Ich habe viele Einschränkungen durch ein pflegebedürftiges Kind. Kann nicht das Bilderbuch-Leben leben, das ich mir vorgestellt habe. Umgekehrt habe ich ein neues, ganz anderes tolles Leben voller Konfetti erhalten, das ich mir nie vorgestellt hätte. Und genau deshalb hab ich ganz neue Dinge an mir, meinen Fähigkeiten und meinen Mitmenschen erkannt, die ich sonst nie entdeckt hätte. Der Clou daran ist aber die Akzeptanz für eine bestimmte Situation in der du bist! Und nicht der Vergleich mit anderen Menschen – einem höher, schneller, weiter. Sondern der Fokus auf das Schöne, was Dir begegnet, die neuen Möglichkeiten, die Du bekommst – und nie zuvor gesehen oder erahnt hättest. 

Möchtest du noch etwas berichten, das dir ein wichtiges Anliegen ist? 

Besondere Menschen haben besondere Fähigkeiten. 

Wir sehen in unserer Gesellschaft oft nur das, was besondere Menschen NICHT können. Wir werden oft gefragt, wie es denn mit Laura weiter gehe, wenn sie was älter ist, weil sie nicht auf eine normale Schule kann. Wenn sie erwachsen ist und nicht alleine wohnen können wird. Und nicht laufen und sprechen kann, obwohl sie schon vier Jahre alt ist!

Dabei sollten wir uns doch vielmehr fragen, was Menschen mit Einschränkungen denn besonders gut können! Menschen mit Williams-Beuren-Syndrom sind bspw. besonders musikalisch! Es gibt eine erwachsene Opernsängerin. Wir kennen Kinder, die fast perfekt ein Instrument im Jugendalter schon beherrschen. Oder Kinder, die eine Melodie hören und sie dann einfach auf einem Instrument nachspielen. Oder eine Laura bei uns zuhause, die vor Glück nur so strahlt, wenn sie Rockmusik hört. Ich kenne keinen anderen Menschen, der so voller Lebensfreude strahlt!

Unsere Laura hat ein unglaubliches Mitgefühl. Sie weiß immer genau, wie wir uns fühlen, wie es in uns drinnen aussieht. So sagte mal eine Betreuerin in ihrer Kita, dass ihr es morgens sehr schlecht ging, sie deshalb fast nicht zur Arbeit gekommen wäre. Als Laura diese Betreuerin dann morgens sah, drückte Laura sich direkt ganz fest an sie und gab ihr das Gefühl, dass sie froh ist, heute da zu sein. Die Betreuerin erzählte uns dann am Nachmittag, dass genau diese Situation am Morgen den Tag für sie komplett verändert hat.

Und genauso wünsche ich mir, dass wir in jedem individuellen Menschen das Besondere sehen, was ihn oder sie so besonders macht. Was er oder sie besonders gut kann und ihn/sie als Menschen so einzigartig macht und nach außen strahlen lässt. Denn wenn wir alle unsere Fähigkeiten in unserer Gesellschaft mal zusammen nehmen, dann wird es ziemlich bunt. Und genau mit diesem Konfetti könnten wir unsere Gesellschaft feiern! Fangt doch mit uns schon mal damit an!

 

Blogreihe – pflegende Väter: Uwe (39) hilft betroffenen Papas sich zu vernetzen

Endlich! Meine Gastbeitrag-Serie über pflegende Väter geht weiter. Dieses Mal mit einem Interview mit Uwe Engelmann (39). Er lebt mit seiner Frau und den Kinder in der Nähe von Heidenheim an der Brenz. Seine große Tochter (5,5 Jahre) hat das Cri-du-Chat-Syndrom (5P- Syndrom), die jüngere 2,5 Jährige keine Beeinträchtigungen. Er ist der Gründer der Facebook Gruppe für Väter von Kindern mit Behinderungen und berichtet uns über seinen Alltag, zwischen Berufstätigkeit, Familie und Pflege – und dem damit verbundenen Irrsinn aus Kämpfen und Vorurteilen.
Bildquelle: (c) Uwe Engelmann – Fotobeschreibung:  Die beiden Töchtern von Uwe schaukeln auf dem Spielplatz, er steht neben der Schaukel mit Sonnenbrille.

Interview von Sophie mit Uwe Engelmann:

Du hast auf Facebook die Gruppe „Papas mit behinderten Kindern“ gegründet.
Gab es einen bestimmten Anlass dafür? Und engagierst du dich noch in anderen Bereichen.

Ich habe schon lange eine Möglichkeit gesucht, mich mit anderen Vätern, die in der gleichen Situation sind, austauschen zu können. Aus diesem Grund habe ich mich auch in mehreren Väter-Gruppen auf Facebook angemeldet, in der Hoffnung verstanden zu werden. Leider findet man überhaupt kein Gehör. Wenn Posts wie „Namenssuche für mein ungeborenes Kind“ oder „mein Kind kann noch nicht…“, oder Ähnliches immer 100te Kommentare nach sich ziehen, haben Beiträge zu Themen von behinderten Kindern vielleicht mal 10 Kommentare erhalten, von denen 8 Mitleidsbekundungen waren.

Im März war ich dann mit meiner Familie auf Kur, bei der ich auch ein Beratungsgespräch mit einer Psychologin hatte, mit der ich auch über dieses Thema gesprochen habe. Daraufhin habe ich dann noch während der Kur diese Gruppe gegründet.

Aktuell engagiere ich mich noch nicht groß anders, wobei die ein oder andere Idee bereits im Kopf am Reifen ist. Allerdings möchte ich dem jetzt hier nicht vorgreifen.

Erlebst du es auch, dass Väter oft außen vor sind? Sei es bei Austauschforen online oder Selbsthilfegruppen oder auch bei Gesprächen mit Therapeuten, bei stationären Aufenthalten oder mit Förder-oder Bildungseinrichtungen?

Das ist einer der Gründe, warum ich schon lange nach der Suche nach einer Austauschmöglichkeit nur unter Vätern gesucht habe. Ich sehe es auch immer wieder in unserer Facebookgruppe für Menschen mit Cri-du-Chat Syndrom, es schreiben eigentlich fast ausschließlich die Mütter. Es ist auch ganz selten, dass mal Väter etwas kommentieren. Zwischenzeitlich bin ich auch in diversen Gruppen, sei es für Pflegende Angehörige oder Unterstütze Kommunikation oder andere Seiten, die sich auf Behinderungen und/oder Pflege beziehen, man sieht fast ausschließlich Frauen schreiben und kommentieren. Einzig bei „Inklusion muss laut sein“ sind es sehr viele Männer, aber da geht es auch um Festivals, Metal-Konzerte und Ähnliches. In den nun mehr als 3 Monaten, in denen ich mich um die Gruppe „Papas mit behinderten Kindern“ kümmere habe ich aber gemerkt, wie wichtig dieser Austausch auch für uns Väter ist. Auch wenn die Gruppe nicht ganz so lebhaft ist, wie andere, in denen auch Frauen kommentieren.

Väter sind sehr oft komplett außen vor. Meine Tochter besucht einen integrativen Kindergarten, diese Einrichtung ist wirklich toll. Es gibt in ganz vielen Situationen 1 zu 1 Betreuung, die Mitarbeiter sind sehr engagiert und helfen, wo sie nur können. Aber es sind fast ausschließlich Frauen. Dieses Jahr habe ich mal gefragt, warum zum Muttertag eigentlich immer was gebastelt wird, aber zum Vatertag nicht. Betretenes Schweigen war die Antwort. Wir Väter sind bei dem Thema Erziehung und Pflege immer noch die Ausnahme und werden gerne vergessen.

Wie regeln deine Frau und du eure Arbeit bzw. Erwerbstätigkeit und Care-Arbeit (unentgeltliche Fürsorge in allen Bereichen von Erziehung, Haushalt, Verwaltung bis Pflege)? Die „klassische Rollenverteilung“ wird bei einer Behinderung oder schweren Erkrankungen eines Kindes ja oft mehr oder weniger freiwillig von Paaren gelebt.

Auf Grund der Pflegesituation unserer Tochter ist es gar nicht mehr möglich, dass beide Elternteile voll erwerbstätig sind. Auch eine Vollzeit- und eine Teilzeitstelle ist nicht realisierbar, zumindest nicht zu den üblichen Arbeitszeiten. Erziehung, Haushalt, Verwaltung und Pflege ist fast komplett bei meiner Frau.

Wir versuchen uns natürlich in allen Belangen so gut es geht zu unterstützen. Ich versuche meine Arbeitstermine so zu legen, dass ich mit zu Therapien und wichtigen Arztterminen gehen kann. Weiterhin versuche ich meine Frau wo es geht zu entlasten und ihr viel unter die Arme zu greifen. Heißt, dass wenn ich abends von einer Außendiensttour nach Hause komme, mich so gut es geht um die Kinder zu kümmern, damit sie ein wenig durchatmen kann. Und natürlich auch um Zeit mit meinen Kindern zu verbringen. Wobei dadurch die Erziehung aber maßgeblich bei meiner Frau hängen bleibt, da sie den ganzen Tag zu Hause ist. Aber im Endeffekt ist es, wie gesagt, ein Miteinander und ein gegenseitiges Unterstützen.

Wie sieht dein Alltag als pflegender Vater aus? Was für Herausforderungen bringen das Vater sein und insbesondere die Behinderung des Kindes mit sich?

Nach der Geburt meiner zweiten Tochter hat sich das Bezugsverhältnis meiner behinderten Tochter mehr in meine Richtung verschoben. Wo früher immer meine Frau erster „Ansprechpartner“ für meine Tochter gewesen ist, bin ich jetzt oft auch die erste Wahl. Ansonsten ist der Alltag nicht groß anders, als bei Eltern ohne behindertes Kind, wenn ich morgens aus dem Haus gehe, schläft meine Familie noch. Ich versuche meistens wieder zu Hause zu sein, wenn meine Tochter aus dem Kindergarten kommt. Wenn ich dann allerdings mal mit zu Therapien gehe, oder wir alle vier gehen, sehe ich wieder dass es nicht normal ist, dass sich die Väter hier mit einbringen. Ist aber glaube ich viel noch den strikten Arbeitszeiten geschuldet, die viele Unternehmen erwarten.

Ich glaube die größte Herausforderung für mich als Vater einer behinderten Tochter ist es, sie einfach erwachsen werden zu lassen, ohne sie in einen beschützenden Kokon einzuspinnen, denn ich neige schon sehr dazu beschützerisch zu sein. Wenn ich sehe wie andere Kinder ihr im Alltag begegnen, bricht es mir das Herz. Aber ich sehe es immer wieder, dass sie Ihren Weg geht, in Ihrer Geschwindigkeit. Sie hat schon so viel gemeistert, was ihr nie jemand zugetraut hat.

Findest du und deine Frau die nötige Unterstützung, wie holt ihr euch Beistand?

Wir haben glücklicherweise in meinen Schwiegereltern Menschen in unserem direkten Umfeld, die uns ohne zu fragen immer unterstützen werden. Sie waren auch schon mit meiner Tochter im Urlaub, da sie sich wirklich sehr liebevoll um sie kümmern und auch um Ihre Besonderheiten wissen. Außerhalb dieses geschützten Bereiches ist es sehr schwer Unterstützung und Beistand zu finden. Viele meiner ehemaligen Freunde sind in ganz Deutschland verstreut, haben selber Familien mit ihren eigenen Schwierigkeiten und Problemen, wenn man sich dann ein oder zweimal im Jahr sieht ist es schwierig nur über ein Kind zu sprechen. Da wir uns aber nirgends aufdrängen wollen, sprechen wir es auch nicht von selber an, man will sich ja auch nicht anbiedern.

Meine Frau hat durch den Kindergarten und die Therapien mehr Kontakt zu Müttern in ihrem direkten Umfeld. Durch den Gendefekt haben wir andere Eltern kennengelernt, mit denen wir mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis pflegen, bei denen man sich nicht erklären oder entschuldigen muss, weil sie die Situation einfach kennen.

Außerdem haben wir uns über die Verhinderungspflege eine Haushaltshilfe eines Pflegedienstes organisiert, die uns einmal in der Woche bei allen anfallenden Aufgaben unterstützt.

Wie begegnen dir die Menschen in deinem Umfeld? Erfährst du auch diese Glorifizierung als bewundernswerter „Superdaddy“ – während gleichzeitig andere Unverständnis entgegenbringen z.B. andere Eltern oder in der Arbeit oder Freizeit, die die Eingebundenheit von Eltern behinderter Kinder nicht nachvollziehen können.

Wenn es mal zum Thema wird, dann bekomme ich schon oft den Satz zu hören, „Also ich könnte das nicht“. Ich nehm das aber niemandem krumm, denn ich konnte es mir auch nie vorstellen, wie es ist ein behindertes Kind zu haben. So blöd der Spruch auch ist, aber man wächst mit seinen Aufgaben. Will sagen, man kann erst eine Situation wirklich beurteilen, wenn man sie auch selber erlebt hat. Wenn man die Leute damit konfrontiert merkt man auch oft, dass es nicht so gemeint war, sondern es nur eine dieser Floskeln war.

Was ich viel häufiger höre ist „das tut mir aber leid“. Ja was denn bitte genau? Für die Situation kann ich niemanden verantwortlich machen. Es ist so wie es ist. Keiner hat es sich rausgesucht. Aber auch hier ist es so, wenn man mit den Menschen redet und Ihnen sie Situation so darlegt, verstehen es die Meisten und werden hoffentlich beim nächsten Mal anders reagieren.

Was sind die größten Schwierigkeiten mit denen ihr als pflegende Eltern konfrontiert seid? Was müsste sich ändern?

Oh wo soll ich da anfangen. Einer der größten Schwierigkeiten ist, dass am Anfang sich niemand die Zeit nimmt und einem genau erklärt, was es bedeutet pflegender Angehöriger zu sein. Was einem alles zusteht, was es für Hilfsmittel gibt, welche einem zustehen, etc. Alles muss man sich selber erarbeiten. Jeden Tag lernt man wieder ein kleines Stück dazu. Das ist sehr kräftezehrend. Dann muss man für jedes Hilfsmittel kämpfen, ich verstehe bis heute nicht, wie sich eine Mitarbeiterin einer gesetzlichen Krankenkasse, die mein Kind noch nie gesehen hat, erdreisten kann und von einem Facharzt verordnete Hilfsmittel ablehnt.

Außerdem finde ich die Art und Weise, wie man teilweise von Behörden, Versicherungen behandelt wird eine maßlose Unverschämtheit. Beispiel Unfallversicherung, wir hatten von Anfang an eine Unfallversicherung für unsere Tochter. Wir hatten die Diagnose von Geburt an, haben es aber der Versicherung nie mitgeteilt, weil wir gar nie auf die Idee gekommen sind, dass sich etwas ändert. Nachdem wir dann der Versicherung die Diagnose und den Pflegegrad mitgeteilt haben, wurde meine Tochter kategorisch ausgeschlossen. Meines Erachtens ist eine Versicherung eine Risikoabwägung, das heißt höheres Risiko gleich höherer Beitrag, das verstehe ich und akzeptiere ich auch, aber sie einfach auszuschließen geht meiner Meinung nach am Ziel vorbei.

Hier gehört einiges reformiert. Prinzipiell gehört meiner Meinung nach das komplette Pflegesystem eingestampft und den Bedürfnissen der Pflegenden angepasst, so wie es aktuell gelebt wird ist es nicht mehr zeitgemäß und vor Allem nicht mehr praxisorientiert.

Weiterhin muss noch wahnsinnig viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, damit Behinderte in unserer Gesellschaft nicht mehr als Aussätzige behandelt werden. Alle, die ich bisher kennengelernt habe, sind Menschen, wie Du und ich, die in Ihrer Geschwindigkeit, in Ihren Möglichkeiten einfach nur akzeptiert werden wollen und dazu gehören wollen.

Wie schafft ihr es als Paar mit diesen Hürden um zugehen? Oft empfinden die Frauen vor allem ein Ungleichgewicht in der Sorge. Und auch die Partnerschaft und der Einzelne kann zu kurz kommen.

Wir nutzen immer mal wieder Wochenenden an denen die Kinder bei Oma und Opa übernachten um etwas zu unternehmen. Aber das kann man glaube ich auch an einer Hand abzählen im Jahr. Ich glaube im Großen und Ganzen ist es für uns beide so, dass wir glücklich sind, wenn es unseren Kindern gut geht. Natürlich wünschen wir uns beide mehr Zweisamkeit, aber aktuell haben wir es glaube ich ganz gut akzeptiert, dass es momentan nicht anders geht.


Was würdest du Familien insbesondere Vätern raten, die neu in der Situation sind, dass sie von der Behinderung ihres Kindes erfahren?

Ich glaube nicht, dass ich in der Lage bin hier irgendjemandem einen Tipp zu geben, nur weil ich eine Facebook Gruppe gegründet habe. Deswegen mache ich nicht mehr richtig als andere. Ich kann nur sagen, was mir geholfen hat.

Zu aller Erst müsst Ihr akzeptieren, dass Euer Kind eine Behinderung hat. Nicht hinter Pseudonymen, wie „Besonders“ oder ähnlichem verstecken. Nennt es beim Namen und akzeptiert es. Jedes Kind ist etwas Besonderes. Versucht es nicht auszugrenzen, das macht die Gesellschaft später ganz von allein. Versucht Eure Familie, sprich Eure Frau und Euer Kind so gut es geht zu unterstützen. Eure Kinder und Eure Familie werden es Euch danken. Und Eure Kinder werden es Euch 1000fach zurückgeben. Für mich gibt es nichts Schöneres als nach Hause zu kommen und zu erleben, wie sehr sich meine Kinder freuen, wenn der Papa nach Hause kommt…!

Möchtest du noch etwas ergänzen oder mitteilen, das dir wichtig ist?

Ja. Meiner Frau ist damals folgendes passiert: Als sie bei unserer jetzigen Kinderärztin vorstellig geworden ist hat die Ärztin den Termin extra nach ganz hinten geschoben, damit sie sich Zeit nehmen kann. Die Ärztin hat selber eine behinderte Tochter und weiß um die Probleme und Kraft, die man tagtäglich braucht. Und das erste was die Ärztin zu meiner Frau gesagt hat, war: „Bevor wir uns über ihre Tochter unterhalten und sie mir erzählen was sie alles kann und nicht kann und was sie alles tun, möchte ich von Ihnen wissen, wie geht es Ihnen denn?“
Das hat mich sehr beeindruckt und ich hab mir schon oft gewünscht, das auch mal loszuwerden, aber bei allen Besuchen beim Kinderarzt wurde mir diese Frage noch nie gestellt.
Worauf ich damit hinaus will ist, das es in dem Teil der Gesellschaft, die mit behinderten Menschen zu tun hat oder die andere Menschen pflegen normal ist, das die Frau viel auf sich nimmt und oftmals auch völlig ausgelaugt daher kommt, aber irgendwie werden in dem Bereich die Männer und/oder Väter völlig vergessen. Nur weil wir es nicht so zeigen wie es in uns aussieht, heißt das nicht, das wir mit der Situation umzugehen wissen. Und ich glaube viele würden sich freuen und wünschen mal angesprochen zu werden, damit Sie sich mal was von der Seele reden können.

Vielen herzlichen Dank für deine ausführlichen Antworten, Uwe. Und dafür, dass du mutig bist so offen von eurem Leben zu erzählen und als pflegender Vater Position zu beziehen.

 

Zum Cri-du-Chat Syndrom: (Von Uwe Engelmann erklärt)

Das Cri-du-Chat Syndrom wurde erst Ende der 1960er Jahre entdeckt. Es ist weitestgehend unerforscht. Aktuell gibt es in Deutschland genau einen Professor, der sich engagiert und versucht eine wissenschaftliche Datensammlung zu erstellen. Es kommt bei einem von 50.000 Kindern vor, ist also relativ selten.

Die Bandbreite reicht von einer leichten bis schweren Entwicklungsverzögerung bis hin zu einer schweren geistigen Behinderung. Und dazwischen ist einfach alles möglich. Laut dem Genlabor, welches damals den Verdacht bestätigt hat, müssen wir uns auf eine schwere geistige Behinderung einstellen, da so viel beim Gen fehlt. Allerdings glauben wir da nicht dran, da unsere Tochter viel mehr kann, als manch andere mit dem Syndrom.

Bei Interesse: https://5p-syndrom.de/5p-/index.php

Wie äußert sich das Cri-du-Chat Syndrom bei unserer Tochter:

Die Hauptaufgaben liegen bei unserer Tochter am Durchschlafen, ohne entsprechende Medikamente hätten wir jede Nacht mindestens 2 Stunden Party. Mit den Medikamenten sind es aktuell nur wenige Minuten bis zu einer viertel Stunde in denen Sie einfach unruhig ist. Das zweite Hauptthema ist das Essen, sie kann nicht kauen, bzw. vergisst es sehr oft und sobald das Stück im Mund zu groß ist, verschluckt Sie sich oder sie bekommt einen Würgereflex. Sie ist nonverbal und inkontinent. Ansonsten ist sie ein unglaublich aufgewecktes Kind mit dem Schalk im Nacken. Sie versteht fast Alles und hat es auch schon geschafft eigene Gebärden zu entwickeln und sich einen Spaß daraus zu machen uns alle damit in die Irre zu führen, weil wir nicht wissen was es sein soll.

Link zur Facebook-Gruppe: „Papas mit behinderten Kindern“

 

Papa ante Portas – warum wir pflegende Väter ernst nehmen sollten!

 

Jetzt habe ich es tatsächlich nicht mehr geschafft im Februar einen zweiten Blogbeitrag zu erstellen – aber hier war auch einfach wahnsinnig viel los. Wir ließen uns zur Unterstützung der Familienherberge Lebensweg von unserer Regionalzeitung interviewen und das SWR Fernsehen war bei uns, um eine vom Pflegenotstand betroffene Familie zu zeigen. Zu guter Letzt war der Räubersohn noch stationär. Denn seit dem er mehrere Backenzähne bekommt verweigert er Essen und Trinken. Er macht einfach den Mund nicht mehr auf. Und wir waren gezwungen ihm eine Nasogastralsonde zu legen und haben schließlich doch der PEG Anlage zugestimmt. Es ist einfach zu gefährlich, gerade wegen seiner chronischen Niereninsuffizienz, wenn er zu wenig Flüssigkeit bekommt. Und jetzt hat der Eingriff nicht mal geklappt. Der tapfere Mäusetiger muss demnächst wieder in die Kinderklinik und das Prozedere wird dann mit einer anderen Op Technik (chirurgisch statt endoskopisch) wiederholt. Ätzend und frustierend das Ganze.

Das hat allerdings durch aus mit meinem geplanten Beitragsthema zu tun:

Im TV Beitrag war der Vater nämlich wieder nur eine Randfigur,  obwohl er wichtiges zu sagen hatte, wurde sein Redeanteil heraus geschnitten. Das passt zu seinen Erfahrungen als Vater eines mehrfach behinderten Kinds.

Auch zu den Erlebnissen in den Krankenhäusern und in Kinderrehazentren:  Ich bin froh, dass der MaPa dieses mal wieder mit unserem Sohn als Begleitperson mitgegangen ist. Die eigentliche Station auf der unser Junior sein Zimmer haben sollte war diese Woche abgeriegelt aufgrund zu hoher Ansteckungsgefahr. Ein Grund mehr die kleine Miss nicht in so eine „Killervirenzuchtanstalt“ mitzunehmen. Als Stillkind hätte ich keine Wahl gehabt. Außerdem warum sollten auch immer wir Mütter mit?

Da ich in Elternzeit bin, übernehme ich sowieso den Hauptteil der Pflege. Aber sobald der MaPa nach Hause kommt packt er mit an. Er wickelt beide Kids,  gibt Brei und Tee, überweist Therapie Rechnungen, turnt Übungen am Galileo,  richtet Medikamente und hält den Schreiling, wenn es sein muss, stundenlang im Arm nachts. Und das ist auch gut so. Es sind schließlich unsere Kinder – nicht meine.

Und ich will ihn nicht als fantastischen Ausnahmevater loben und glorifizieren. Sondern ich weiß, es gibt viele engagierte pflegende Väter (leider auch viele alleinerziehende Elternteile, zur Mehrzahl Mütter mit behinderten Kindern). Leider wird so getan, als sei die Carearbeit eben Frauensache. Auch von vielen Fachkräften. Das finde ich ein Unding und so nicht haltbar!

Als der MaPa mir im ersten Spz mit dabei war, wurde er beispielsweise glatt ignoriert. Obwohl er den Räubersohn auf dem Arm hielt und sondierte, wurden mir als Mutter die Fragen – wie grotesk – zur Ernährungsituation gestellt.

Ähnlich war es als er mit ihm allein in der Klinik war, hieß es: Wann kommt ihre Frau wieder? Nun, sie dachten er wäre nur kurz zu Besuch und ich mir die Beine vertreten. Dabei waren noch mehr Väter auf den Gängen der Station unterwegs. Das ist ganz schön ignorant und nicht zeitgemäß diese Denke!

Inzwischen kennen ihn auch einige Angestellte, schließlich sind wir oft, Gott sei Dank meist ambulant, Gast im Krankenhaus.

Aber was bitte schön ist das für ein Männer- und damit auch Frauenbild? Das Kind gehört für viele auch 2018 noch zur Mutter. Den Vätern wird von mehreren Seiten nach wie vor zu wenig zugetraut. Dazu gehört, dass von vielen Vorgesetzten erwartet wird, dass noch immer bei Männern der Beruf vor der Familie kommt. Auf freie Tage werden Besprechungen sowie Geschäftstermine gelegt, Überstunden nach Feierabend gelten nicht selten als zumutbar und ähnliche Dinge, die eindeutig zeigen, dass davon ausgegangen wird, dass die Väter zu Hause abkömmlich sind. Bei einem pflegeintensiven Kind wird aber jede Hand,  ja JederMANN gebraucht, wenn man vermeiden möchte, dass die Ehe zerbricht oder ein Elternteil völlig erschöpft ist und ausbrennt.

Deshalb habe ich beschlossen den pflegenden Väter hier eine kleine Blogreihe zu widmen. Auch Paare kommen zu Wort, die sich die CareArbeit teilen. Denn es geht! Väter müssen nicht außenvor bleiben, sondern können und sollen eine wichtige Aufgabe bei der häuslichen Pflege einnehmen. Es muss kein Rollentausch sein außer beide wünschen sich das. Auf jeden Fall funktiert Pflege auch in Teilzeit – ggf. am Abend oder Wochenende. Und sie können das. Vertraut ihnen, Mütter (- ich weiß das ist nicht leicht aber springt über euren Schatten); das gleiche gilt auch für Großeltern, Freunde, Ärzte*innen, Krankenpfleger*innen und Therapeuten. Und ihr Papas zeigt, dass ihr ‚ganze Kerle‘ seid, die auch in der weiblichen Welt der Pflege ihren Mann stehen und für eure Kinder einstehen.