Liebe und Freiheit. Fernweh und andere Sehnsüchte

Den ich liebe möchte ich frei sehen von allem, auch von mir“ – War es ein indianischer Spruch oder eine moderne Literatin?  Ich weiß nicht mehr aus wessen Feder er stammt, aber dass es einer der Zitate über die Liebe gewesen ist, die meine Mutter auf kleine Papierzettel schrieb und an mehrere Büsche und Bäume des Gartens band, in dem wir im Juni 2011 unsere Hochzeit feierten. Bereits als junges Mädchen machte ich mir darüber Gedanken, wie wichtig es mir ist, dass ich – außer mein passendes Gegenüber zu finden, das mich (wie im antiken Kugelmenschen Mythos) vervollständigt – auch in einer Beziehung ich selbst bleiben kann. Einen anderen Spruch:
Wahre Liebe besteht aus zwei Menschen, die zu einer Einheit werden, ohne ihre Individualität zu verlieren„, schrieb ich selbst mit circa 16 Jahren zu einem geschmiedeten Paar-Kerzenleuchter meines Vaters.
Freiheit und Liebe haben in der Partnerschaft des MaPa und mir schon immer zusammen gehört. Ich habe es schon als Teenager nicht verstanden warum manche Paare so völlig mit einander verschmelzen und nur noch im Doppelpack erscheinen. (Heute denke ich, es gibt verschiedene Arten zu lieben und es gibt Menschen, die möchten eben in dem anderen komplett Ineinander aufgehen.)

Ich fand es immer gut und richtig meine eigenen Interessen zu wahren und sich zwar aneinander anzupassen aber nicht zu verbiegen.  Mein heutiger Mann war da noch extremer.  Er ging dermaßen in seinen Sport auf,  dass es fast schien, als handele sich nicht um ein Hobby, sondern seinen Hauptlebensinhalt. So hat er als junger Kerl auch durch aus mal gekündigt, um seinen Abenteuerurlaub wie geplant durchziehen zu können. Mit zunehmenden Lebensjahren und Verpflichtungen in der Arbeit war er da nicht mehr so radikal, aber noch immer wenig kompromissbereit, wenn es um seine Urlaubsplanung ging. Ich habe mich insbesondere am Anfang damit erst arrangieren müssen. Denn wir reisten beide gerne und wie schön ist es doch erst zu zweit!

Aber ich habe doch schnell die Vorzüge gesehen, denn statt das beide auf das verzichten, was dem anderen nicht so liegt, machten wir das eben mit anderen Gleichgesinnten. So unternahm ich Städtetrips mit meiner Mutter  und Backbacking Touren mit meinen Freundinnen.  Als wir vor fünf Jahren dann von Anfang Dezember bis Neujahr jeder einen seiner Fernreiseträume verwirklichten – er in Südamerika, ich in Thailand –  vermisste ich ihn schon sehr. Wie gerne wäre ich mit ihm auf Ko Thao geschnorchelt und hätte das kühle Feiertagsbier, mit den nackten Füßen im Sandstrand verbuddelt, getrunken. Noch größer war nur noch meine Sehnsucht nach Kindern. Ich wollte einem kleinen Würmchen nicht gleich einen ewig langen Flug zumuten aber mit einem kleinen Hosenscheißerchen, das schon herum springt, würde das schon gehen. Ich sah viele junge Familien im den Hostels und träumte davon mit Mann und Maus in nicht all zu ferner Zukunft wieder zu kommen, am Streetmarkt Sticky Rice with Mango (auf dem Beitragsfoto meine selbstgekochte Kokosreis Variante) zu schlemmen, die goldenen Tempel zu zeigen und die wundervoll grünen Nationalparks mit all ihren Bewohnern.

Eigentlich war das doch nichts Verrücktes oder Unrealistisches. Aber nun mit unserem Intensivkind? In den ersten beiden Lebensjahren des Räubersohnes mit Sonde, Dialyse und co war überhaupt nicht an eine Reise in ein nicht europäisches oder fremdsprachiges Land zu denken. Wir waren immerhin in einer Ferienwohnung im Fränkischen , besuchten gelegentlich Freunde und Familie. Sonst schafften wir nur kleine einzelne Solo-Unternehmungen: Er, immer mal wieder ein verlängertes Wochenende in die Alpen; ich, über Pfingsten mit Freundinnen in den Süden  – aber das waren ganz seltene Ausnahmen, die dem jeweils daheim geblieben unendlich viel Kraft kosteten. Im vergangenen Jahr war mit Schwangerschaft und Hausbau dann keine kleine Alltagsflucht mehr möglich auch dieses Jahr waren wir mit der Geburt, dem Umzug und den Schreianfällen sehr häuslich und kamen nur einmal kurz bis an den Rhein.

Mühsam sich und sein Leben an diese Situation anzupassen. Das Fernweh bleibt, es vermischt auch mit Erinnerungen an gar nicht so ferne Zeit, die doch Lichtjahre entfernt wirkt. (Wie ein schwerer Wintermantel, den man sich nicht ausgesucht hat, der einen geschenkt wurde. Er ist wertvoll, wärmt und doch sitzt er nicht richtig und drückt, egal wie oft man wieder in ihn hinein schlüpft. Doch Ablegen ist keine Option.)

Und auch ohne tägliche Heimdialyse leben wir jetzt – wieder fast zwei Jahre später – ja weiterhin so zusagen in ‚Warnstufe gelb‘. Nicht lebensbedrohlich aber es könnte immer kippen: die Nieren,  die Epi, die Spastikschmerzen. Und es bleibt unendlich viel zu organisieren, speziell zubereitete Medikamente, ein Kind das nicht spricht, aber immer wieder aufheult und brüllt und wir nie genau wissen was ihm fehlt. Trotz drei Jahren keinerlei Selbstständigkeit in alltäglichen Dingen und ohne Aussicht auf Veränderung. Da werden aus Elternteilen ein Pflege- und Orgateam, das Paarsein und eigene Interessen rutschen in den Hintergrund. Zumal jetzt mit unserer kleinen Miss, die auch 24/7 Full-Service braucht. Eine ganz schöne Zerreissprobe. Jeder muss zurückstecken, dabei wäre eine Auszeit für alle heilsam. Einzelnen Hobbys versuchen wir noch nachzugehen, große Sprünge sind nicht drin. In den Ferien haben wir auch deutlich weniger Pflege, so kommen wir auch nur zu wenig  Haus, Büro und Garten, obwohl viel zu tun wäre. Da wäre ein Atmosphärewechsel doch gerade gut! Letztes Jahr waren wir bei einem genialen Fotovortrag über einen Weltenbummlerfamilie die mit Unimog und zwei bis drei Kids bis in den Iran fuhren. Das war so spannend machte mich aber auch etwas wehmütig.

Dann im Radio immer noch dieser Giesinger Song:

Und wenn sie tanzt
Ist sie wo anders
Für den Moment
Dort wo sie will
Und wenn sie tantzt
Ist sie wer anders
Lässt alles los
Nur für das Gefühl
Dann geht sie barfuß in New York
Schwimmt alleine durch Alaska
Springt vor Bali über Board
Und taucht durch das blaue Wasser…

Oh Mann! Das waren  noch Zeiten.

Früher waren wir mit unserem ausgebauten Sprinter unterwegs von Norwegen, Polen bis Marokko.

Vielleicht trauen wir uns im Sommer 2018 – wenn die Umstände es zulassen – mal etwas weiter ins Ausland als nur Österreich. Und wenn möglich, nicht nur für eine Reha. (Im Herbst sind wir zum Kraft tanken auf jeden Fall für eine gemeinsame Auszeite in der Familienherberge Lebensweg angemeldet. )

Das sind wir uns allen doch schuldig, raus kommen, anknüpfen an alte Reiseleidenschaften, die uns doch auch ausmach(t)en. Was war immer mein Lennon-Leitspruch als Studentin: „Zahme Vögel träumen von Freiheit – wilde Vögel  fliegen.“ Zeit die Federn abzustauben und langsam einen Blick aus dem Nest zu wagen, hoffentlich haben wir günstigen Wind und genug Energie für diesen Schritt.