Brandbrief pflegender Eltern an die Bundesfamilienministerin

Diesen Brandbrief habe ich als Gastbeitrag bei Mama streikt in der Reihe: „Care ein Gesicht geben“ veröffentlicht:

Sehr geehrte Frau Dr. Giffey,

die Entwicklung, dass der Pflegenotstand politisch und gesellschaftlich nun endlich Aufmerksamkeit findet, macht mir als pflegende Mutter etwas Hoffnung. Doch die Debatte fokussiert bisher primär die Missstände in der Altenpflege und der stationären Krankenpflege. Obwohl tausende Eltern in Deutschland ihre Kinder mit Behinderungen und schweren Erkrankungen pflegen, findet diese Gruppe pflegender Angehöriger nach wie vor kaum Beachtung. Doch es brennt in der Kinderkrankenpflege, denn wir pflegenden Eltern von schwer behinderten und chronisch kranken Kindern verbrennen!

Als Außenstehender kann man sich nur schwer vorstellen, was es bedeutet, wenn das eigene Kind dauerhaft auf Unterstützung in nahezu jedem Lebensbereich angewiesen ist. Unser Sohn ist vier Jahre alt, aber aufgrund eines schweren Sauerstoffmangels bei der Geburt, der mehre Organe unwiederbringlich massiv geschädigt hat, ist er mehrfach behindert und chronisch krank. Er ist auf dem Stand eines fünf Monate alten Säuglings, kann weder sitzen noch sprechen, wird über Magensonde ernährt und benötigt täglich viele Medikamente. Es gibt keine Aussicht darauf, dass er irgendwann selbstständiger wird, er wird lebenslang von unserer Fürsorge abhängig sein.

Sich um das eigene hilfsbedürftige Kind Tag und Nacht zu kümmern ist zweifelsohne sehr anstrengend. Hinzu kommt, dass wir Eltern meist Jahrzehnte lang pflegen, das ist psychisch sowie auch körperlich ein kräftezehrender Vollzeitjob, der als solcher nicht anerkannt wird und bei dem wir zu wenig Entlastung erhalten. Über meinen Blog “Sophies Anderswelt” und meine Facebookseite “Familie inklusiv” bin ich im Kontakt mit vielen betroffenen Familien. Ich habe mehrere pflegende Mütter und Väter von behinderten oder schwerkranken Kindern befragt, was sie in ihrem Pflegealltag am meisten belastet. Nahezu einstimmig bekam ich die Antwort: Der nicht endende Papierkrieg aus Anträgen und Widerspruchsverfahren.

 

„Am meisten Kraft kostet mich immer wieder das Organisieren und der Papierkram, es geht damit los, dass wir jedes Quartal für das SPZ (Sozialpädiatrisches Zentrum) eine Überweisung benötigen, die wir vorher beim Kinderarzt besorgen müssen“, fasst Petra Heine* (46) zusammen, deren Kind u.a. eine Cerebralparese mit Entwicklungsverzögerung und eine Hörbehinderung hat. Den Pflegegrad 2 erhielt ihr Kind erst im Widerspruchsverfahren. Auch wir teilen diese Erfahrung.

Die Pflegegrade und das gesamte Feld der Pflegerechte, orientiert sich nach wie vor – trotz Pflegereformen – zu sehr an Erwachsenen. Kinder werden meist zu niedrig eingestuft und viele MDK-Prüfer und weitere Prüfdienste, wissen über Neuerungen (wie z.B. die besondere Bedarfskonstellation, die auch für Kinder gelten) angeblich nicht Bescheid.

Auch den Behindertenausweis mit dem angemessenen Grad der Behinderung (GdB) und die nötigen Kennzeichen zu erhalten, die dann stets nur befristet ausgestellt werden, stellt bei Minderjährigen meist einen bürokratischen Hürdenlauf dar. Mit vielen Arztbriefen und Therapeutenberichten muss belegt werden, was sich niemand wünscht: Dass das eigene Kind nachweislich beeinträchtigt ist. Doch diese „Etiketten“ sind nötigt, um weitere Unterstützung zu erhalten.

Beantragen, Warten und Streiten – das sind neben der eigentlichen Pflege, die Kernkompetenzen, die wir pflegenden Eltern uns aneignen müssen. Viele unserer Kinder mit Handicap benötigen diverse Hilfsmittel, wie Fußorthesen, um eine Verschlimmerung der Krankheitsbilder entgegen zu wirken oder weitere Mobilitäts- und Kommunikationshilfen, damit sie am Leben teilhaben können. Der Regelfall ist, dass es sich vom Kostenvoranschlag bis zur Auslieferung des Hilfsmittels mehrere Monate zieht. Manchmal so lange, dass es bis dahin nicht mehr passt. Bei Pflegehilfsmitteln kommen Gutachtertermine hinzu. Doch die Genehmigung ist keine Formsache, denn leider stellt es keinen Einzelfall dar, dass die Kranken- und Pflegekassen die Kostenerstattung zunächst ablehnen. Und das obwohl diese die entsprechende Hilfsmittelnummer aufweisen und ärztlich verordnet sind. Das gleiche gilt für medizinische und therapeutische Maßnahmen, wie Logopädie, Ergo- und Physiotherapie. Die Verordnungen müssen alle paar Monate neu ausgestellt werden. Immer wieder sind die Familien verpflichtet zu belegen, dass ihr unheilbar krankes Kind tatsächlich weiterhin dieser Maßnahme bedarf. Auch Medikamente, medizinische Geräte und Intensivtherapien, die am meisten Erfolg versprechen und Operationen hinauszögern können, fallen unter diese Streich- und Sparpolitik. Häufig werden Zuzahlungen eingefordert. Uns pflegenden Angehörigen kommt es teilweise so vor, als würde ein System dahinterstecken, uns ohnehin schwer belasteten Familien, vor den Kopf zu stoßen. Nur, wenn wir die Kraft zu einem Widerspruchsverfahren haben, dass nicht selten erst im Zuge eines Rechtsstreits beigelegt werden kann, erhalten wir was unserem Nachwuchs zusteht. Diese ewigen und wiederkehrenden Kämpfe machen uns Eltern mürbe. Zumal jedes Jahr von den riesen Überschüssen in Millionenhöhe, die die Krankenkassen erwirtschaften, in den Nachrichten zu hören ist.

Ein weiteres Problem, das viele Eltern schildern, ist, dass sich die Pflege sich nur schwer mit einer Berufstätigkeit – über die unbezahlte Carearbeit hinaus – vereinbaren lässt. Das beschäftigt auch Dominik Panzer (36) aus Würzburg, dessen Sohn Paul von Geburt an chronisch nierenkrank ist und bereits pränatal (im Mutterleib) operiert wurde: „Was ich als das Schlimmste empfinde ist, dass durch ein Kind mit einer Behinderung ein finanzielles Risiko für die Familie entsteht, da weder ausreichend finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates besteht, noch die meisten Arbeitgeber flexibel sein können, wie es eigentlich notwendig wäre.“ Neben dem bereits erwähnten zeitaufwändigen Papierkrieg ist bei den regelmäßigen, wochenlangen Reha- und Klinikaufenthalten die Anwesenheit einer elterlichen Begleitperson erforderlich.

Einen weiteren Kraftakt stellt es dar, einen Krippen-, Kindergarten- oder Schulplatz für ein krankes oder behindertes Kindes zu finden. Während frühe Bildung in aller Munde ist – scheint dieses Recht für unsere Kinder nur bedingt zu gelten. Um Bildungseinrichtungen besuchen zu können, sind begleitende Fachkräfte als Integrationshelfer*innen erforderlich, doch Ämter und Kassen streiten auf unsere Kosten um die Zuständigkeit. Und die bewilligten Stunden reichen so gut wie nie aus für eine vollständige Teilnahme. So leben diese Familien überdurchschnittlich oft von nur einem Einkommen, was die nächsten Fallstricke mit sich bringt. Viele Ehen von Eltern mit behinderten Kindern, zerbrechen nicht zuletzt durch diese massiven Belastungen. Zurück bleiben meist alleinerziehende Mütter, die am Existenzminium leben und pflegen, so wie die Berlinerin Andrea Meyer* (41): „Ich arbeite weniger als halbtags, und bin daher noch auf Hartz IV Leistungen angewiesen. Dementsprechend sind die Finanzen immer knapp.“ Dabei muss vieles selbst finanziert werden: Bei barrierefreien Umbaumaßnahmen stellen die Pflegekassen beispielsweise nur einen maximalen Förderbeitrag von 3000€ zur Verfügung, das reicht aber bei weitem nicht aus, um beispielsweise eine Wohnung barrierefrei zu gestalten. Doch wie soll jemand der nur von Pflegegeld lebt, etwas beiseitelegen? Berechtigte Zukunftsängste sind daher unser Begleiter. Die wenigen Rentenpunkte, die für die Pflege eines Angehörigen angerechnet werden, ändern nichts an dem Risiko der Altersarmut, der überwiegend pflegenden Frauen. Eine Möglichkeit diese prekäre Lage zu ändern wäre, die Einführung eines Fürsorgegehalts, das diese wichtige Carearbeit würdigt und das Auskommen der Pflegenden dauerhaft sicherstellt.

Die Pflegekassen sparen schließlich durch jeden pflegenden Angehörigen: Sie zahlen durch das Pflegegeld – selbst bei Vorliegen des höchsten Pflegegrads – weniger als die Hälfte dessen, was sie für einem professionellen Pflegedienst zur Verfügung stellen würden! Das stellt eine unglaubliche Herabwürdigung dieser unverzichtbaren Carearbeit dar.

Bei Kindern mit Mehrfachbehinderungen, wie unserem Sohn, müssen wir auch zahlreiche pflegerische Tätigkeiten übernehmen, zu denen eigentlich kein Elternteil gezwungen sein sollte, wie z. B. das Auswechseln von Nahrungssonden, Legen von Darmrohren oder Absaugen der Atemwege. Diese medizinischen Aufgaben sollten von geschulten pflegerischen Fachkräften durchgeführt werden. Doch die fehlen häufig in der ambulanten Kinderkrankenpflege oder ihr Einsatz wird in zu geringem Maße oder überhaupt nicht genehmigt! Über diese Missstände ist unglaublich wenig gesellschaftlich bekannt, denn den Eltern fehlt in der Regel die Kraft, um neben der Pflege und den zermürbenden Streitigkeiten noch den Schritt an die Öffentlichkeit zu gehen.

 

Gerade im palliativen Bereichen, bei unheilbar und lebensverkürzt erkrankten Kindern, ist es unfassbar wie die Familien in dieser schweren Situation nicht nur im Stich gelassen werden, sondern noch mehr Probleme aufgebürdet bekommen. Der vierjährige Sohn von Nicole Wegle* (39) leidet an einem Tumor und einer lebenslimitierenden Stoffwechselerkrankung, die u.a. eine massive Aspirationsgefahr, schwere Spastikschmerzen und viele epileptische Anfälle mit sich bringt. Die Krankenkasse genehmigt ihnen lediglich 30 Stunden Intensivpflege in der Woche, was bei weitem nicht reicht, um den schwer kranken Jungen adäquat zu versorgen. Zudem wird die Verordnung stets nur für wenige Monate befristet gewährt. Dadurch sind Familien wie sie gezwungen neben all den Arzt-, Therapie- und Klinikterminen noch den Anwalt zu konsultieren, der sie unterstützt das Recht und die Versorgung ihres Kindes notfalls vor Gericht zu erkämpfen. Und das zu der ohnehin massiven Belastung im Alltag und in der begrenzten Zeit, die ihnen mit ihrem Kind bleibt.

Jeder, der sich um ein krankes Kind gekümmert hat, und sei so es “nur” bei einem vorüber gehenden Infekt, weiß wie sehr man als Eltern bangt und mitleidet, wenn es dem Nachwuchs nicht gut geht. Aber was tun, wenn diese Situation keine Ausnahme, sondern Alltag ist? Es ist ein anhaltendes Leben im Ausnahmezustand. Und nein, man gewöhnt sich nie völlig daran, auch nach Jahren stumpft man nicht ab, angesichts von Angstzuständen, Ausgrenzung und Schmerz, die das eigene Kind Krankheits- oder Behinderungsbedingt durchlebt. Immer wieder Bangen, neue Medikamente und Operationen mit ungewissem Verlauf. Das allein ist ein großes Paket, das wir zu tragen haben. Wir müssen uns einfühlen in unsere Kinder, abwägen was für sie Priorität hat und entscheiden welche Maßnahmen als nächstes ergriffen werden sollen.

Wir tragen so viel Verantwortung und sind dabei fruchtbar oft fremdbestimmt und abhängig. Die zusätzlichen und unnötigen Kämpfe mit Behörden, Pflege- und Krankenkassen laugen uns aus – oft bis zum Burnout oder zur Depression. Die Rechte pflegender Angehöriger müssen gestärkt werden. Wir brauchen mehr Entlastung im Pflegealltag (siehe P17 Petition!) und ein würdiges Fürsorgegehalt. Es kann nicht hingenommen werden, dass wir als Mütter und Väter von Kindern mit Behinderung und schwerer Erkrankung so lange gegen all die Mauern laufen bis wir daran zerschellen.  

Bitte helfen Sie uns, Frau Giffey – machen Sie sich stark für uns pflegenden Eltern!

Es grüßt Sie Ihre

 

Verena Sophie Niethammer M.A.

(*Name auf Wunsch der Person anonymisiert. Gerne kann ich persönliche Kontakte zu den betroffenen Familien vermitteln.

 

„…dass ihm auch nicht eines fehlet.“ Die oft (noch) nicht bekannte Chance von pränatalen Operationen. Der dritte Teil der Miniserie über das Weitertragen.

Ich möchte euch im dritten Teil der Miniserie über das Weitertragen eine so dramatische wie außergerwöhnliche Geschichte erzählen – oder besser gesagt, die Eltern selbst zu Wort kommen lassen in diesem Gastbeitrag.

Wir kennen uns von Facebook aus der Nierenkinder-Gruppe. Während unser Räubersohn erst durch die Geburtskomplikationen mehrfach behindert und chronisch Nierenkrank wurde, erfuhren die Eltern dieses kleinem Jungen bereits in zweiten Schwangerschaftstrimester von seiner schweren Nierenfehlbildung und dem dadurch ausgelösten Fruchtwassermangel.

Den werdenden Eltern wurde keinerlei Hoffnung gemacht, dass ihr Baby leben könnte. Doch sie gaben nicht auf, wollten ihr Wunschkind mit aller Konsequenz austragen (- wie die beiden anderen bereits vorgestelltenen Familien). Und: Sie fanden einen mutigen Arzt, der sie unterstütze und mit mehreren pränatalen Eingriffen das Leben ihrers ungeborenen Sohnes rettete. Hier berichet das Elternpaar über ihre Erlebnisse, „düstere  Zeit“ und wie sie heute durch ihren Verein „Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder“ (bfvek)Familien in ähnlichen Situationen helfen möchten:


Am 02.01.2017, in der 19. SSW hatten wir einen Routine-Ultraschall bei unserer Frauenärztin in Würzburg. Der erste, an dem ich als Vater teilnehmen konnte. Wir waren sehr gespannt und hofften das Geschlecht des Kinders zu erfahren. Die Ärztin schallte meine Freundin und sagte dann, dass etwas wenig Fruchtwasser vorhanden sei und ihr Chef noch einmal schallen sollte. Wir wurden nervös und erhielten letztendlich die Diagnose „Fruchtwassermangel“. Aufgrund defekter bzw. kaum im Ultraschall darstellbarer Nieren produzierte unser Kind kein Urin, wodurch kein Fruchtwasser mehr entstand. Das Schlucken des Fruchtwassers ist aber wichtig für die Lungenentwicklung des Kindes.

Wir wurden an die lokale Universitätsklinik weiterüberwiesen. Diese hatte aber erst in zwei Tagen einen Termin für uns. Wir googelten sehr viel, fanden uns aber nicht wirklich mit unserer Diagnose wieder. Das was wir lasen, führte immer zum Tod des Kindes spätestens bei Geburt. Die Ultraschallspezialistin der Klinik war noch im Weihnachtsurlaub, so dass ein Oberarzt die Diagnose bestätigte. Weitere fünf Tage später voller schlafloser Nächte, wurde uns letztendlich von der Ultraschallspezialistin in einem persönlichen und professionellen Gespräch die Optionen „Abtreibung“ und „Stille Geburt“ dargelegt. Wir rechneten schon aufgrund unserer eigenen Recherchen damit, aber es war trotzdem unglaublich hart, es wieder zu hören.
Ein unbeschreiblich großer Schock, da unser Kleines auch noch das langersehnte Ergebnis einer langwierigen Kinderwunschbehandlung war. Wir klärten noch kurz für uns wichtige Punkte mit den Ärzten ab: ist das Leben der Mutter gefährdet – nein. Geht es dem Kind im Mutterleib soweit gut – ja, da die Mutter die Aufgaben der Nieren des Kindes übernimmt. Bis wann sollten wir uns entscheiden – okay.
Betroffen verließen wir gemeinsam das Gebäude der Uniklinik, die Hand auf dem kleinen Schwangerschaftsbauch und nah bei unserem Kind. Wir setzten uns in unser Auto und brachen wieder in Tränen aus, wie schon so viele Male die Tage davor. Ein Lebewesen, dass unschuldiger nicht sein könnte, sollte keine Chance auf ein Leben haben. Ist das gerecht? Warum wir? Warum es? Viele Fragen. Ohne Antworten.
Wir sprachen kurz über die Situation und waren uns sehr schnell einig: wir möchten kein Leben unseres Wunschkindes beenden, wenn es dem Kind gut geht und die Mutter ungefährdet ist. Damit würden wir viel schwerer klarkommen, als mit einer stillen Geburt. Das Kind soll selbst entscheiden wann es gehen will oder nach der Geburt in unseren Armen „einschlafen“ und sich für einen kurzen Moment von seinen Eltern geliebt fühlen.

Wir begannen ein Erlebnistagebuch zu führen, Babybauchabdrücke zu machen und möglichst viel Zeit bewusst und „zusammen“ mit unserem ungeborenen Baby zu verbringen. Wir machten Ausflüge, die man sonst mit Kindern unternimmt: Ponyreiten, ins Playmobilland, ins Kino etc. Wir besuchten die Sternenkindergruppe der Malteser Würzburg (https://www.facebook.com/maltesersternenkinder/) und informierten uns über die Möglichkeiten einer Beerdigung. Meine Freundin begann im Weitertragen-Forum aktiv zu werden. Um auch unsere Familien einzubeziehen organisierten wir einen Familienultraschall bei unserem Frauenarzt, bei dem alle zuschauen konnten. Als hätte unser Kleines es gewusst, sah es auch kurz so aus, als würde es uns im Ultraschall zuwinken. Bei jedem Ultraschall ließen wir Fotos ausdrucken und klebten diese in unser Erlebnistagebuch, dass heute zusammen mit verschiedenen Geschenken und selbstgebastelten Erinnerungen in einer großen Schatztruhe lagert. Sehr bedrückend war es, wenn meine Freundin auf ihren sichtbaren kleinen Schwangerschaftsbauch angesprochen wurde. Oft wurden wir auch mit Unverständnis konfrontiert: „Wie, ihr müsst das Kind jetzt austragen?“. So hart die Worte im ersten Moment waren, so wissen wir doch, dass das weder böse gemeint war oder „auf die Schnelle“ eine adäquate Reaktion einfach ist, noch dass jeder wie wir entscheiden würde. Insofern waren wir hier nie nachtragend – außer gegenüber dem ärztlichen Personal, von dem Professionalität erwartet werden kann. Wir wollten auch das Kind nicht durch ein „neues ersetzen“ oder „tauschen“.

Und so verging die Zeit.

Hier könnte die Geschichte nun vorhersehbar und traurig enden. Das tut sie aber nicht. Denn zwei Wochen nach der Erstdiagnose fanden wir über Bekannte mit Professor Kohl vom DZFT (www.dzft.de) doch noch einen Arzt, der versuchen wollte uns zu helfen. Er garantierte nichts, wir tauschten die 0%-Überlebenschance unseres Kleinen gegen einen Funken Hoffnung ein. Egal wie gering die Chance ist, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Das Ergebnis der 6 operativ durchgeführten Fruchtwasserauffüllungen, vieler Schlafloser Nächte, Sorgen, Ängste vorm Blasensprung, einer Frühgeburt und viel viel Daumen drücken heißt Paul, ist heute 8 Monate alt und ein zufriedenes Baby, das auf eine Nierentransplantation hinarbeitet. Bei der ersten Fruchtwasserauffüllung spürte meine Freundin die Bewegungen des Kleinen zum ersten Mal strampeln, er hatte Platz zum Planschen und wir hatten das positive Gefühl, seine (pränatale) Lebensqualität gesteigert zu haben.

Wenn wir heute zurückblicken auf diese Zeit, ist alles sehr weit weg, aber doch irgendwie nahe, da viele der Termine und Ereignisse nun genau ein Jahr vergangen sind. Gerade jetzt als ich diesen Bericht schreibe, waren wir damals so verzweifelt, wie noch nie in unserem Leben. Wir hatten das Glück dieselbe Meinung zu haben, dass wir das Baby weiter austragen und eine positive Zeit als kleine Familie verbringen wollen. Noch viel mehr Glück hatten wir, das unsere Geschichte ein happy end hat.
Heute wissen wir, dass man bei vielen pränatalen Diagnosen etwas Positives bewirken kann. Auch nicht jede Diagnose erweist sich letztendlich als richtig. Und man sollte nicht direkt der ersten Arztmeinung folgen. Es sollte jedes Paar selbst entscheiden, was für sie und das Kind gangbar ist im Kontext der Krankheit des Kindes, der medizinischen Möglichkeiten und der eigenen Ressourcen. Denn auch eine vorgeburtliche Behandlung bedeutet leider nicht ein happy end. Wichtig ist aber immer – und das blieb uns verwehrt – eine unvoreingenommene und umfassende Aufklärung durch die Ärzte. Uns wurde letztendlich von der Behandlung, die unser Kind rettete, abgeraten. Im Nachhinein wurde uns bewusst, dass die Ärzte keinerlei Vorstellungen hatten, wie die Methode funktioniert oder anzuwenden ist. Das müssen sie im Detail auch nicht, dafür gibt es Spezialzentren der höchsten Stufe. Die notwendige Überweisung dorthin fand allerdings nicht statt.

Um Situationen wie du unsrige zukünftig zu vermeiden und betroffenen Eltern zu helfen, haben wir daher einen gemeinnützigen Verein gegründet: den Bundesverband zur Begleitung von Familien vorgeburtlich erkrankter Kinder e.V. (www.bfvek.de / https://www.facebook.com/BFVEK-eV-348044295614894/ )


Danke, dass wir hier unsere Geschichte erzählen und für unsere Sache werben dürften. 

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Wer in Kontakt zu der jungen Familie treten möchte, kann dies über den Verein tun. Außerdem leite ich Nachrichten an sie gerne weiter.

Interview bei Phillip Julius e.V.

Heute dürft ihr mal eine Premiere mit uns erleben!

Ich wurde vor kurzem von Nadine Bauer vom Verein Philip Julius e. V. interviewt und gerade ging der Beitrag online. Wir redeten über den Alltag mit unserem Glückskind (ich gebe ihm hier den Namen ‚Felix‘), berufliches und unsere Wünsche.Ein Thema war auch das Vereisen, den der Verein bietet Familien mit behinderten Kindern Unterstützung, wenn sie in den Urlaub zusammen fahren möchten.

Euch allen ein schönes Wochenende! Drückt mir die Daumen, am Montag startet mein neuer Job.

Hier das Interview, das Nadine Bauer mit mir geführt hat:

„Erzähl doch mal …. Sophie!“

Wie sieht Deine Familie aus?
Bisher ganz klassisch wie im Kinderspiel: „Vater, Mutter, Kind“: Papa Mark (37), ich (33) und unser kleiner Felix , er ist gerade zwei geworden. Außerdem sind unsere Eltern im Boot und unsere treuen Paten.

Wann und wie hast Du von der Behinderung Deines Kindes erfahren?
Die Schwangerschaft mit Felix war ohne Komplikationen, er wuchs und gedieh und strampelte wild. Als ich zwei Wochen vor dem Termin einen Blasensprung hatte und die Wehen begannen, rechnete ich mit mit einer ganz normalen Geburt. Doch es kam alles anders: Die Herztöne fiehlen immer wieder ab und schließlich wurde er durch einen Notkaiserschnitt geholt. Felix, atmete nicht von allein und musste gleich auf die Neointensiv gebracht werden, wo er reanimiert und intubiert wurde. Ich sah ihn nicht da ich selbst noch betäubt war. An meinem Mann wurde er schnell im Brutkasten vorbei geschoben. Uns wurde berichtet er hatte dann gleich nach der Geburt noch erste Krampfanfälle. Die ersten Tage scheider auch nichts aus und langerte immer mehr Wasser ein. Nach der unfallgleichen, vereehrenden Geburt war klar, er wird, wenn er die erste Zeit übersteht, viele Einschränkungen haben. Die ersten Monate standen vorallem seine Nieren, die durch den schweren Sauerstoffmangel stark beschädigt wurden, im Vordergrund. Bereits mit einem Monat konnten wir mit der lebensrettenden Bauchfelldialyse beginnen.Dann kamen nach und nach neue Einschränkungen, wie die Cerebralparese mit all ihren Baustellen und weitere Krankeiten, wie die Epilepsie, zum Vorschein.

Inwiefern ist Dein Kind beeinträchtigt und wie gehst Du damit um?
Für uns ist vieles inzwischen normal. Dadurch, dass er zur Zeit keine Nasogastral-Sonde mehr hat, fällt vielen Ausstehstehenden, die nicht vom Fach sind, gar nicht auf den ersten Blick auf, dass er Handicaps hat. Wer sich etwas auskennt sieht seine Spitzfüße, die Rumpfhypotonie, erkennt die typische Handhaltung und Anspannung von Kindern mit Spastiken. Er isst auch sehr langsam, verschluckt sich immer wieder und trinkt nur Schluckweise angedickte Flüssigkeit aus einem Spezialbecher. Seine epileptischen Anfälle sind bisher Gott sei Dank nur ganz klein und kurz. Inzwischen hat Felix einen Schwerbehindertenausweis (100% AG, B, H) und Pflegestufe drei.
Beim Verarbeiten unserer Situation helfen mir viele Gespräche mit Freunden und ein „besonderer“ Mütter-Treff. Der Austausch mit ihnen und das Gefühl nicht alleine zu sein, da ist goldwert! Außerdem verarbeite ich viel dadurch, dass ich einen Blog schreibe (www.sophiesanderswelt.wordpress.com). Es ist aber kein stetes Voranschreiten, im Sinne von „langsam wird alles besser“. Klar wir leben uns schon etwas ein in unserem „Paralleluniversum“, jetzt nach zwei Jahren. Aber je nach dem wie die Umstände sind und was ich um mich herum erlebe, komme ich mehr oder weniger besser klar damit ein behindertes Kind zu haben.

Habt Ihr noch weitere Kinder?
Bisher haben wir noch keine weiteren Kinder, wünschen uns aber ein Geschwisterchen für unseren Räuber. Es wäre für uns alle wundervoll all das normale „Babyzeug“ zu erleben, erste Worte und erste Schritte, solche Dinge. Es wäre auch beruhigend zu wissen, dass sich noch jemand um unseren Sohnemann kümmern kann, wenn wir älter werden.

Wie sieht Dein Alltag aus?
Gerade ändert sich viel. Der kleine Mann darf nämlich seit seinem zweitem Geburtstag im Oktober 2016 in eine sonderpädagische Kita gehen, die Pflegerinnen fahren ihn jeden Schultag dort hin. Das ist eine große Entlastung, jeden Vormittag „frei“ zu haben. Der mobilie Kinderpflegedienst war früher auch seltener meits nur zwei bis drei Mal die Woche da. Jetzt mache ich in Ruhe all Briefe für die Versicherung, fordere Rezepte an, mache neue Arzttermine aus und koche vor, denn er darf nur Ungesalzenes essen. Gott sei Dank geht es nachts einigermaßen gut, da Felix viele Stunden am Stück schläft, wenn er irgendwann zwischen zehn und elf Uhr endlich in den Schlaf gefunden hat. Bald werde ich Teilzeit arbeiten, da bin ich noch gespannt wie wir das alles gewuppt bekommen.

Was macht Dich im Alltag glücklich? Und welche Momente sind hingegen besonders schwer?
Wenn wir Zeit zu Dritt verbringen, ohne Therapien und Arztbesuche, das ist herrlich. Da die Blutwerte unseres Juniors jetzt schon länger für seine Verhältnisse gut sind, bin ich gerade etwas entspannter. So normale Dinge, wie mal auf ein Straßenfest mit Freunden gehen, das ist sehr schön. Etwas traurig bin ich, wenn ich Kinder in seinem Alter sehe, die umher springen,selbst etwas aus der Hand essen und erste kurze Sätze sprechen. Solche Selbstverständlichkeiten fehlen doch sehr. Andereseits bin ich happy, wenn kleine Kinder aus unserr Verwandschaft und dem Freundeskreis lieb zu unserem Goldstück sind, auf ihn zu gehen und versuchen ihn mit einzubeziehen.

Wer betreut Dein Kind? Wie habt Ihr die Pflege organisiiert?
Die meiste Zeit bin ich damit ihm Essen und Trinken zu geben. Auch der ganze Vericherungs- und Ämterkram (Kostenvoranschläge, Hilfsmittelanträge, Widersprüche usw.) ist bei uns sehr zeitaufwendig. Wir haben uns früh professionelle Hilfe durch einen mobilen Kinderpflegedienst geholt. Sie helfen uns mit den Medikamneten, geben Spritzen, messen Blutdruck, inhalieren mit ihm und überwachen seine Anfälle. Immer wieder müssen wir darum kämpfen die Intensivpflegeverordnung behalten zu dürfen. Das heißt ich muss regelmäßig Arztbriefe anfordern, Verlaufsberichte einreichen und alles zig mal begründen – als ob eine chronische Erkrankung und Behinderung, wie von Zauberhand verschwinden könnte! Ich weiß nicht wie ich ohne die Pflegerinnen den Alltag bewältigen könnte. Mein Mann arbeitet Vollzeit, er hat als Berufschullehrer aber relativ humane Arbeitszeiten und Ferien und kümmert er sich in der freien Zeit viel um den Kleinen. Unsere Eltern nehmen Felix in der Regel einmal in der Woche oder begleiten ihn zur Therapie oder zu Artzterminen. Wenn ich bald arbeite gehe, werden die Großeltern uns noch häufiger unterstützen (müssen), sonst würde das alles nicht funktionieren.

Was machst Du beruflich? Und wie sieht Dein Arbeitsalltag aus?
In Zukunft bin ich in Teilzeit als Sozialarbeiterin in einem Schulzentrum angestellt und freue mich schon auf diesen abwechslungsreiche, fordernden Job mit den Kids. Davor war ich als Dozentin an einer pädagogischen Hochschule in der Lehre und Forschung tätig. Da arbeitete ich unregelmäßig auch am Wochenende oder in Kompaktblöcken, das ginge jetzt nicht mehr so gut. Ob das ein Verlust ist oder ein Gewinn, ist eine Frage der Perspektive. Manchmal bin ich auch ganz froh, durch unser privates Chaos so durcheinander gewirbelt worden zu sein. Eine Krise ist ja immer auch eine Chance sich neu zu (er-)finden. Auch als Paar wurden wir noch mehr zusammen geschweißt.

Was bedeutet Urlaub für Euch?
Im Urlaub möchten wir einfach einmal abschalten. Keine Regeln, keine Verpflichtungen. So ein bisschen wie bei der „Sail away“-Werbung. Als unser Liebling noch täglich ca. 8-10 Stunden an der Bauchfelldialyse über Nacht angeschlossen war, konnten wir natürlich keine großen Sprünge machen. Wir ließen uns das Gerät und Zubehör dann in eine Ferienwohnung im Fränkischen liefern. Felix fährt ohnehin nicht besonders gerne Auto und bei größeren Höhenunterschieden spuckt er. Noch immer trauen wir uns höchstens ins deutschsprachige Ausland (Was wäre, wenn die Werte kippen oder er einen schweren Anfall bekäme?) .

Wenn Ihr als Familie gemeinsam Urlaub macht, wie plant Ihr?
Mit Dialyse war es sehr kompilziert, ganze drei Mal rückten Mitarbeiter der Firma bei der Ferienwohnung, der Gott sei Dank verständnissvollen und netten Familie Thiem, in Waischenfeld an. Dann funktionierte der Cycler auch erst nach einem Reset, da lagen die erst Mal Nerven blank. Generell müssen wir viel einpacken und dafür sorgen, dass wir ausreichend Medikamente (sie werden extra in unserer Apotheke in der richtigen Mischung zubereitet) und medizisches Zubehör (Spritzen, Blutdruckgerät, Sonde für den Notall etc.) dabei haben.

Wo habt Ihr Euren schönsten Urlaub verlebt?
Am liebsten vereisen wir mit dem Wohnmobil meiner Schwiegereltern, da bekommen wir fast alles unter, auch die nötigen Hilfsmittel, wie den sperrigen Rehabuggy. Wir planen dann immer kurzer Etappen, wobei wir das je nach Wetter und Gesamtsituation auch mal spontan aufbrehcne oder bleiben. Alle unsere Urlaube waren schön, erholsam und gefühlt viel zu kurz. Gerade der erste zu dritt in der Fränkischen Schweiz wird uns immer in Erinnerung bleiben, weil unser Liebling da beim Wandern durch Wald und Wiesen es endlich duldete im Wagen liegen zu bleiben, wenn auch in einer lustigen „Schildkröten“-Position auf dem Bauch.

Welche Wünsche und Pläne habt Ihr für die Zukunft?
Ich würde gerne einmal wieder in den Norden fahren mit meinen „Jungs“. In Norwegen waren wir bisher nur vor seiner Geburt. Viellicht finde wir nette deutschsprache Ferienwohngsvermieter oder Campingplatzbesitzer? Irgendwann würde ich gerne nochmal nach Marroko oder Thailand, aber ob das jemals wieder gehen wird, das steht in den Sternen. Da wir gerade barrierefrei Bauen, ist Reisen auch nicht unsere erste Priorität.

Den veröffentlichten Text findet ihr auf http://www.phillip-julius.de