Mittendrin – daneben. Sechs Jahre in der Anderswelt.

Wir gehören dazu. Doch zu wem? Es ist kaum begreifbar für uns, dass wir tatsächlich seit nun mehr sechs Jahren unseren bisherigen Orbit verlassen haben. Unglaublich, dass unser Liebling schon so alt ist. Und noch immer habe ich so viele widersprüchliche Gedanken und Gefühle zu ihm, zu mir und uns.

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Wie schön, dass du geboren bist, Räubersohn. Das Geburtsprotokoll deines schweren Starts ins Leben.

 

Es gibt Monte-Kuchen mit Fröschen und kleine Igel-Muffins, für dich mein Räubersohn als Brei in Milch aufgelöst. Wir singen:  „Zum Geburtstag viel Glück„. Wie schön du lachen kannst und was für ein großer Junge du inzwischen geworden bist. Mit drei Jahren geht es so richtig los, die meisten Kids werden selbstständig, haben keine Windeln mehr an, schlüpfen allein (oft widerwillig) in ihre Kleider und trotzen. Das Letzte kannst du auch ganz ordentlich. Wehe, du darfst nicht auf dem Arm oder das königliche Mahl mundet nicht…Wobei du dein neues, buntes Snoezi-Lagerungskissen gerne magst, dich gelegentlich sogar absetzen lässt. Wie gerne würde ich mit dir Laterne laufen oder Kürbisse schnitzen, einen wilden Jungs Kindergeburtstag feiern. Du bist aber schon müde, nur von der Feierei , dem Hoch-leben im Kindergarten. Wir haben nur die Großeltern und Paten zum Kaffee eingeladen.

Wie schön, dass du geboren bist. Wir hätten dich sonst sehr vermisst.“
In Gedanken bin ich oft wo anders, wie jedes Jahr liegt an diesem Tag , deinem Geburtstag, ein großer Klumpen auf mir. Fast wäre dein erster, dein letzter Tag gewesen.  Ich möchte fröhlich sein, es ist doch ein Wunder wie stabil du jetzt schon eine Weile bist, dass wir endlich wissen, dass es vor allem zunehmende Spastiken sind, die dich nachts schreien lassen und wir nun daran sind das richtige Medikament dagegen zu finden.

Ich möchte mich endlich lösen von dieser traumatischen Erfahrung vor drei Jahren, sie hinter mir lassen, so gut es geht. Den Geburtsbericht der kleinen Miss habe ich ja bereits veröffentlicht, nun folgt das Protokoll des Oktobertags, der mein, der unser Leben, für immer tiefgreifend verändert hat:

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                  Geburtsprotokoll des Räubersohnes (aufgeschrieben kurz nach der Geburt):

“ In der Woche vor der Geburt war ich noch einmal zur Routineuntersuchung bei meiner Frauenärztin, die nichts Auffälliges feststellte. Unser zappeliger, aktiver Babyjunge lag mit dem Kopf nach unten, er war nur noch nicht abgesenkt. Deshalb empfahl sie mir, falls nun die Geburt beginnen sollte, dass ich mich vom Rettungsdienst liegend ins Krankenhaus bringen lassen soll. Sie wünschte mir alles Gute, da ich nur zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin war und sie in den Urlaub ging.
Außerdem hatte ich mich im Vorfeld auch schon zweimal in dem nahegelegenen Regionalen Krankenhaus vorgestellt, bei dem ich im Hebammen-Kreissaal, d.h. wie in einem Geburtshaus ausschließlich mit Hebammenbegleitung mein Kind zur Welt bringen wollte. Dafür bekam ich im Vorfeld auch die nötige Freigabe, da alles Erforderliche – was an wirklich viele Bedingungen geknüpft ist: Guter Eisenwert, kein Diabetes, passende Kindslage, komplikationslose Schwangerschaft etc. stimmten.

Am Tag der Geburt musste ich nachts oft auf die Toilette, als ich mich wieder ins Bett legte, platzte mir morgens die Fruchtblase. Es trat eine große Menge leicht blutige Flüssigkeit aus und ich bewegte mich nur noch sehr wenig und zog mir nur etwas über. Mein Mann informierte den Rettungsdienst und wir riefen im Krankenhaus an, um mich anzumelden. Die Rettungshelfer brachten mich auf einer Trage von unserer DG-Wohnung zum Krankenwagen, um dem möglichen Risiko eines Nabelschnurvorfalls vorzubeugen. Während der Fahrt begannen bereits die Wehen, mein Mann folgte kurz darauf mit seinem eigenen Wagen.
Im Krankenhaus kamen wir um 9.00Uhr an, dann wurde ich zunächst von der diensthabenden Ärztin und den Hebammen untersucht. Dabei wurden die Wehen schnell stärker und die Abstände verringerten sich. Da die Ärztin bei der Untersuchung immer wieder Schwierigkeiten hatte die Herztöne meines Babys zu finden, gab sie mir nicht die Freigabe für die Hebammen geleitete Geburt und teilte mir mit, dass sie mich weiter betreuen wird. Ich war darüber erleichtert, da ich bereits große Schmerzen hatte und unsicher war, da es sich um meine erste Geburt handelte. Die Untersuchung des Muttermunds zeigte, dass dieser sich ungewöhnlich schnell öffnete. Ich durfte nur einmal die Gebärposition wechseln, weil die Hebammen und Ärzte immer wieder versuchten die Herztöne meines Sohnes zu lokalisieren, was wohl auch kurzzeitig gelang. Ca. 1,5 Stunden versuchten das Team mich bei der natürlichen Geburt zu unterstützen. Ich hatte früh unglaublich große Schmerzen, ich musste aufheulen und mir wurde übel. Ich bekam richtig Angst um mein eigenes Leben, denn es fühlte sich an als zerriss ich innerlich, es war furchtbar beängstigend und schmerzvoll. Es wurde auch eine Elektrode am Köpfchen unseres Lieblings befestigt, um seine Werte zu überprüfen, leider hielt diese nicht. (Er war auch noch zu weit oben im Geburtskanal, um eine Saugglockengeburt durchzuführen, obwohl der Muttermund sehr weit geöffnet war, teilten mir die Ärzte bei der Besprechung am November 2014 mit). Schließlich wurde, als die Herztöne wieder schlecht waren, von einem Arzt ein Bluttröpfchen von seinem Kopf genommen, um die Sauerstoffsättigung zu untersuchen. Sie teilten mir auch mit, dass ich wahrscheinlich einen Kaiserschnitt bekommen würde. Aber keiner erwähnte wie kritisch die Lage bereits wohl sein musste. Dann ging alles sehr schnell…
Mein Mann der bei der Geburt bis dato anwesend war, sprach von ca. 4 Minuten bis sie den Notkaiserschnitt durchführten. Da ich unmittelbar nach dem schlechten Blutuntersuchungsergebnis unseres Babys den betäubenden Narkosesaft erhielt, kann ich mich nach dem Umlegen auf die Transportliege an keine weiteren Schritte des Geburtsvorgangs erinnern.
Er musste leider laut Geburtsbericht wiederbelebt werden, da er durch den großen Sauerstoffmangel während der Geburt sehr gelitten hatte und nicht von selbst anfing zu atmen. Was die genaue Ursache dafür war, wissen wir bis heute nicht mit Sicherheit.
Auch mein Mann konnte seinen Sohn direkt nach der Geburt nicht sehen, wie er von einer Ärztin und Schwester abgeholt wurde, um ihn auf die Kinderintensivstation der Kreisklinik im Nachbarort zu verlegen. Sie machten jedoch Bilder die sie dem besorgten Vater gaben. Darauf sieht man unsern neugeborenen kleinen Kämpfer, weiß-bläulich und intubiert, regungslos in einem Inkubator liegen. Mein Mann fuhr, nachdem ich aufgewacht war, in die Klinik zu ihm. Ich konnte auf Bemühen meines Mannes noch in der gleichen Nacht zu unserem Sohn verlegt werden.

Das Gespräch über den Geburtsablauf, das im Monat darauf stattfand, als unser Sohn noch immer auf der Intensivstation lag, sorgte leider eher für mehr Verwirrung als für Klärung. Die Situation, die jeder Schwangeren Angst macht, heute nur noch selten eintrifft, uns hat sie vollerwischt. Nur wenige Millimeter, wenige Minuten entfernt vor dem größtmöglichen Schicksalsschlag. Und keiner weiß angeblich warum. Es wurden verschiedene Möglichkeiten (u.a. Plazentainfarkt, Nierendefekt in der SS) benannt, die zu dem massiven Sauerstoffmangel mit beginnendem Organversagen und Hirnödem führen gekonnt hätten. Die Ärzte schlossen einen Nabelschnurvorfall aus. Aber gegen alle anderen Hypothesen würde immer etwas sprechen z.B. sei für eine (teilweise) Plazentaablösung zu wenig Blut im Bauchraum gewesen. Der Direktor der Abteilung erwog sogar, ob meine Frauenärztin etwas im Vorfeld übersehen hätte ( – diese Schuldzuweisung finden wir nicht angemessen!) “

Keine klare Antworten nur ein großes Fragezeichen – Drei Monate verbrachten wir mit dir in drei Kliniken. Eine Zeit der Angst und Ungewissheit, die – bei aller Ruhe in den letzten zwei Jahren – nie völlig vorüber ist. Wir werden immer wieder gefragt, wie es denn dazu kommen konnte, aber wir wissen bis heute nichts Genaues. Feststeht nur, dass unser einst quicklebendiger, gesunder Sohn aufgrund dieser „unfallartigen“ Geburtsgeschehnisse dauerhaft auf Medikamente und Unterstützung angewiesen sein wird. Wir sind auch dankbar, dass er lebt und seit drei Jahren bei uns ist. Nur ist es so schmerzhaft zu wissen, dass ein schnelleres ärztliches Handeln das Ausmaß seiner Behinderung und chronischen Erkrankung wohl verringert hätte. Und wir nie erfahren werden was für ein Mensch er ohne dieses Paket geworden wäre.


Du lachst, weil jemand die Hupe deines neuen Rutschautos drückt. Ich lächle mit…..           „Wie schön, dass wir zusammen sind. Wir gratulieren dir Geburtstagskind.“

Baby Blues und Rock‘n Roll – Freude über große Sprünge und Sehnsucht nach kleinen Schritten

Wir kommen kaum mit, denn die kleine Miss gibt Gas. In wenigem Tagen ist sie drei Monate alt und bereits jetzt hat sie den kleinen, großen Bruder – zumindest motorisch – überholt. So früh, hätte ich wirklich nicht damit gerechnet. Wir sind so glücklich, wenn wie sie uns bereits morgens mit Strahlelächeln begrüßt, rings um sich greift und sich vor Freude glucksend einfach alles, in ihrer Reichweite, in den Mund schiebt. Da der Räubersohn in letzter Zeit weniger Interesse an seinem Spielbogen zeigte, darf sie jetzt darunter liegen. Und was passiert? Kling klang! Gleich hat sie das rote Glöckchen entdeckt, dann schwupps rollt sie zur Seite und schnappt die bunten Holzringe an der Stange. So ein Wunderkind – Wahnsinn!
Der kleine König indes hat über Sommer schön zugelegt und ist auch ein Stückchen gewachsen. Mapas Elternzeit ist ihm gut bekommen! Bei ihm isst er besser als bei allen Pflegerinnen. Das ist auch gut so, denn wir wollen ja mit ihm nächsten Frühsommer ins Adeli Medical Center. Und für den Astronauten Trainingsanzug braucht er noch gut zwei Zentimeter mehr Länge. Kleinere Kosmonauten haben Pech und müssen zum Babytraining! Das wäre aber Schade immerhin wird unser Liebling schon bald drei.
Drei Jahre – drei Monate und so wenig Unterschied. Das schmerzt im Mutterherz. Die ganzen Ferien über hat der Räubersohn fast jede Nacht geschrien. Auch in den paar Tagen, an denen wir mit dem Wohnmobil unterwegs waren. Mal stundenlang dann wieder kurz und heftig aber mehrmals bis zum frühen Morgen. Das hat uns jede Menge Kraft und Nerven gekostet. Die kleine Madame schläft Gott sei Dank wie ein Murmeltiermädchen. Pumpt sich abends fast ohne Pause mit Milch voll, dann schlummert sie mit satten Kugelbäuchlein fast komplett die ganze Nacht. Höchstens ein zwei Mal hat sie noch mal Appetit. Ich schau sie so gerne an, wenn sie neben mir ihm Beistellbett schläft.
Sie sieht ihm so unglaublich ähnlich. Gerade der zweite Monat hat bei mir sehr viele, auch ziemlich schmerzhafte, Erinnerungen geweckt. Die großen blauen Augen, Pausbacken aber dünne Ärmchen und zarter rotblonder Flaum auf dem Kopf. Genauso hat der Zwerg ausgesehen als er endlich von der Intensiv- auf die normale Kinderstation durfte. Das eingelagerte Wasser war mit der Bauchfelldialyse heraus gezogen, ein zartes Kerlchen erschien darunter. Nur lachte der nicht, sondern heulte immer sofort wenn man ihn ablegen wollte. Die Dauerdialyse lief den halben Tag, ich war nur am Milch abpumpen und sondieren. Der Räubersohn spuckte und verbog sich. Das war keine schöne Baby-Mama-Zeit. Nachts hatte ich Albträume, tagsüber die erdrückende Verantwortung, denn ich musste mich fast vollständig allein um das verkabelte Kind kümmern. Daheim war es lange Zeit nicht viel besser. . Ich konnte nicht mehr aber einfach abhauen ging auch nicht. Ich hab ihn ja lieb den Schreiling.
Die ganzen Baby- und Kinderbücher, über Entwicklung und Spielideen dazu, die mir damals nur furchtbar wehtaten, lese ich jetzt wieder. Natürlich habe ich dem kleinen König auch Lieder vorgesungen und Geschichten erzählt und tue es auch heute noch. Nur wenn kaum Reaktion zurückkommt, ist das manchmal komisch. Es fühlt sich etwas wie ein Monolog an. Welcher Artist tritt ohne Publikum auf oder macht weiter, wenn es stumm bleibt? Der kleine König schweigt, kein Wort kommt über seine Lippen. Inzwischen immerhin ein Lachen beim Toben oder Plantschen und was für eines zum dahin Schmelzen! Oder polternde Motzelaute, wenn etwas nicht passt, Moniseur Hunger hat oder ihm langweilig wird. Eigentlich toll, dass er zeigt, wenn ihm etwas nicht passt. Aber, wenn er nur sagen könnte was ihn stört oder wehtut– das ewige Rätselraten ermüdet mich.
Immerhin seit wenigen Tagen schläft er besser. Wir haben uns gebeugt und ein starkes Antispastikum eingesetzt, als sonst wieder nichts half. In erhöhter Dosis scheint es ihm Linderung zu verschaffen, so dass er zur Ruhe kommt. Nächste Woche muss er zum Checkup in die Kinderklinik, einer der Halswirbelfortsätze scheint nicht ganz in Ordnung und ein Langzeit EEG und MRT sind überfällig. Außerdem versuchen wir endlich mehr Pflegestunden zu bekommen, dass er nicht mitten im KiGa Tag heraus gerissen wird. Ein weiteres größeres Päckchen kommt auch noch auf uns zu. Wir gehen zu einer Rechtsberatung, denn nach drei Jahren verjähren medizinische Fehler. Und da ich ohne Komplikationen in der Schwangerschaft, mit einem kerngesunden Baby zur Geburt angemeldet und wir mit einem mehrfach behinderten, chronisch kranken Kind nach drei Monaten Klinikaufenthalten heim gingen, ist es wohl schon sehr berechtigt endlich noch einmal nachzuhaken. Rasches Handeln von Seiten der Ärzte hätte wohl diesen ausgeprägten Sauerstoffmangel verhindern können, was auch immer ihn ausgelöst hat. – Wie wäre er jetzt wohl ohne diese unfallartige Geburt? Unser Nachbarssohn ist ungefähr gleich alt, er gräbt den Garten um, kabbelt sich mit seinem Bruder, fährt Dreirad… ich mag nicht mehr darüber nachdenken.
Die kleine Miss lässt sich von all unseren Sorgen nicht bekümmern, sie trinkt, gedeiht und trägt schon wieder eine Kleidergröße mehr. Zwei Windelrocker zu versorgen ist nicht ohne. Wir brauchen lange bis wir außer Haus kommen und die Abende sind rastlos mit Kinder belegt. Immerhin „Es ist nur eine Phase“, das Mantra aller Eltern trifft zumindest auf unser Töchterchen zu. In einem Jahr wird sie selbst Apfelschnitze futtern und dann kann ich ihr mit dem kleinen König im Rehabuggy hinter her rennen. Er wird immer mein „Baby“ bleiben, aber so will ich ihn aber nicht sehen und behandeln. Hoffentlich gelingt mir das. Vielleicht kann er mir das irgendwann selbst mitteilen (ob direkt oder mit Talker oder App). Das wäre schön.

Ein Wochenbett der Extreme I – Zwischen unfassbarem Glück und Hilflosigkeit

Als ich am Ende der zweiten Schwangerschaft den Geburtsvorbereitungskurs mit meinem Mann besuchte, zeigte uns die Hebamme eine schöne Karikatur: Die Königin im Wochenbett. Darauf ist eine frisch gebackene Mutter zu sehen, die im Bett sitzend von weichen Kissen gestützt, selig ihr Neugeborenes im Arm hält und stillt. Der Vater reicht ihr Kuchen und ein wenig Besuch spickt ins Schlafgemach. Zu schön, um wahr zu sein? Sicher bei Mehrgebärenden ist diese Idylle sehr unrealistisch, wenn noch ein zwei Kinder umher springen und nach der „MAAAMAAAAA!!“ schreien, wird diese wohl kaum königliche Ruhe mit dem Jüngsten erfahren. Aber beim ersten Kind, da ist es doch noch drin – so dachte ich, bevor bei uns das Schicksal zugeschlagen hat. Wer sieht sich mit seinem kleinen Spatz schon wochenlang auf der Intensivstation? Nun jetzt, drei Jahre später, nachdem wir dieses Horrorszenario durchlebt haben und inzwischen viele Familien mit ähnlichen Erlebnissen kennen, erscheint es leider nicht so unwahrscheinlich, dass etwas schief geht. Obwohl ich versuchte optimistisch zu sein, beschlich mich immer wieder etwas Angst. Kommt unser Mäuschen zu früh, hat es nicht doch etwas was man auf dem Ultraschall nicht sah? Ich war nicht wirklich entspannt bis zur Geburt. Umso erleichterter atmete ich auf, als die ersten Tage nach dem Kaiserschnitt problemlos verliefen. Ich war nur etwas nervös, weil sie so wahnsinnig lange schlief, was für ein frisch geschlüpftes Menschenkind aber ganz normal ist, wie mir die Hebamme versicherte, zumal bei diesen enorm heißen Junitagen. Als wir nach fünf Tagen endlich heim durften war ich sehr glücklich und dankbar. Endlich würden wir vier vereint sein und ein Baby erleben, das wächst und gedeiht, viele Dinge kann und unglaublich schnell noch mehr lernen wird.

Mein Mann aber schien nicht so fröhlich, er war ziemlich angespannt. Ich erwartete mit der riesen, schmerzenden Kaiserschnittnarbe etwas verwöhnt zu werden. Er war aber total kaputt und entnervt. Denn unser Erstgeborener hatte ihn in den letzten Nächten, als er mit ihm allein war, kein Auge zu machen lassen. Dass der Räubersohn eine Nachteule ist und spät müde wird, das ist nun mal so. Aber seit dem Frühjahr hat er immer wieder laut im Schlaf aufgeheult und sich nur schwer beruhigen lassen. Zuerst dachten wir es seien wieder die durchbrechenden Zähne – aber doch nicht über Monate! Zumal er nicht immer sabberte. Wir wissen immer noch nicht was eigentlich los ist. Auf jeden Fall wurde es schlimmer. Ich habe ja schon darüber gewitzelt, dass uns der König wohl auf die schlaflosen Nächte mit Baby vorbereitet. Nur hörte es nicht auf als die kleine Miss und ich zu Hause waren. Der nun große Bruder zeigte zunächst keine Eifersucht, tagsüber war sogar richtig gut gelaunt. Er lächelte wenn sein Schwesterchen Geräusche machte und legte seine Hand auf ihre, wenn wir sie ihm zum Kuscheln auf den Bauch legten.

Doch gleich die erste Nacht schrie er, als ginge es um sein Leben, machte sich steif und war kaum zu beruhigen. Und das nicht als kurzer gewaltiger Aufschrei, sondern über zweieinhalb Stunden! Das geht an die Substanz vor allem wenn das längere Zeit so geht. Denn während wir Damen noch stationär waren, pendelte der arme Mapa zwischen der Wohnung, den Großeltern, die den kleinen König tagsüber auch versorgten und dem Krankenhaus. Jetzt versuchten wir zu zweit den Schreihals zu beruhigen, ich sang seine Lieblingslieder, wir probierten alles von Gute-Abend-Tee, Popo klöpfeln, Wiegen, Zahngel bis Schmerzmittel. Daneben bemühte ich in einen Stillrhythmus zu finden und mich an die Pflege eines Neugeborenen zu gewöhnen – beides absoultes Neuland für mich (Dazu gibt es auch einen tollen, gleichnamigen Comic auf eltern.de). Denn in der Neo-Intensiv war der Große rund um die Uhr von Krankenschwestern betreut, trinken konnte er in den ersten Wochen mit der Beatmung und der kritischen Gesamtsituation noch nicht, das Saugen hat er bis heute nicht gelernt. Seine kleine Schwester macht es mir Gott sei Dank aber nicht schwer, sie trinkt mit Begeisterung und wir hatten recht schnell den Dreh raus. Außerdem strampelt und lacht sie so wundervoll, greift Mapa in den Bart: Wir sind so unendlich froh die kleine zauberhafte, kleine Piratenprinzessin im Arm halten zu können.  Dieses selige Glückgefühl der ersten Kuschelzeit im Wochenbett hielt leider immer nur bis abends. Zwischen sieben und halb neun fängt es dann wieder an, das Ohren betäubende Gezeter des kleinen Monarchen. Es ist zum Verrückt werden! Manchmal schreit die Kleine auch noch mit, aber oft verschläft sie den Lärm aber einfach.

Kleiner, großer Bruder – ein Brief für meinen Räubersohn

Für dich, mein Räubersohn:

Kaum zu fassen, wie schnell diese Schwangerschaft an uns vorbei gerauscht ist. Die Zeit, seit dem du bei uns bist, kommt mir kaum länger vor. Und doch bist Du schon seit zwei Jahren und sieben Monaten, unser „Baby“ unser kleiner König, die Nummer eins. Bald werden wir Nachwuchs bekommen und alle zusammen in „dein“ barrierefreies Häuschen umziehen, wie wir immer sagen. Das zweite Kinderzimmer wird dann tatsächlich von Anfang an eine kleine Bewohnerin haben. Was für ein Segen, dass dieser Wunsch in Erfüllung geht! Nicht, dass uns mit einem Kind langweilig wäre. Nein, du, bzw. deine gesundheitliche Situation, halten uns auf stets Trab: Zuerst das Bangen, ob du bei uns bleiben wirst und die Sorge, wie wir mit all deinen Krankheiten, den Medikamenten, Klinikaufenthalte, den unsicheren Zeiten zu Streich kommen werden. Seitdem fragen wir uns wie ausgeprägt deine Handicaps sein werden und wie wir dir mit dem richtigen Maß an Therapien helfen können. Trotz dem vollen Kalender sollst du Kind sein dürfen – nicht Therapieobjekt, wir Mama und Papa kein Pflege- oder Medizinpersonal. All die Förderanforderungen, die „Hausaufgaben“ aus Physio, Logo, Ergo sowie die Beschaffung deiner nötigen Hilfsmittel etc. liegen manchmal wie dicke Felsbrocken auf uns. Doch wir schaffen es immer wieder uns frei zu schaufeln und einfach Familie zu sein, mit Freunden zu kochen, spazieren zu gehen,  einen kleinen Ausflug zu machen, einfach zu faulenzen oder zusammen zu kuscheln.

Nach wie vor dauert es viele Stunden des Tages dich zu versorgen, dir Essen und Trinken in kleinen Mengen einzuflößen, mit dir auf dem Galileo zu „turnen“, dich zu wickeln an manchen Tagen auch mal mehrfach umzuziehen oder zu waschen, wenn du gespuckt hast. Du schläfst spät ein, wachst heulend auf, oft mehrmals in der Nacht. In manchen Dingen bist du noch wie ein Säugling und wirst es wohl auf unbestimmte Zeit – vielleicht für immer – bleiben.  Natürlich hast du dich in vielen Bereichen wundervoll entwickelt, besser als wir es gewagt haben zu hoffen. Du bist neugierig auf andere Kinder und oft geduldig bei deinen Übungen. Und versteh‘ mich nicht falsch, natürlich: Das alles ist anstrengend, ja – aber du bist keine Last, nur die Situation ist immer wieder belastend, wenn es sich häuft, viele Dinge zusammen kommen. Aber du bist unser Glück, unser Goldstück und so ein charmanter Strahlemann. Wir genießen im Moment besonders die exklusive Zeit mit dir, uns als Dreiergespann. Wir staunen, was für kleine Dinge dich glücklich machen, zum Beispiel sich im Wind wiegende grüne Zweige, wilde Flugzeug- und Schaukelspiele oder, wenn man dich „annagt“ oder anprustet.

Und jetzt kommt ganz bald noch jemand dazu. Deine kleine Schwester wird in wenigen Wochen wie ein Funken sprühender, leuchtender Komet in unseren Alltag brechen. Wir werden (wieder) aus unserer inzwischen gewohnten Umlaufbahn katapultiert. Und wahrscheinlich ist das auch gut, denn wir sind schon ganz schön eingefahren. Obwohl wir immer versuchen auch ein Paar und selbstständige Einzelpersonen zu bleiben, bist du doch sehr der Mittelpunkt unserer kleinen Familie geworden, um den wir zusehend kreisen. Das ist bestimmt auch in Familien außerhalb der Anderswelt bei ihrem erstgeborenen Kind so. Ich hoffe du weißt und spürst, wie sehr wir dich lieben, ich dich liebe, auch wenn an „deinen Schlafhügeln“, an die du dich so gerne kuschelst bis dir die Augen zu fallen, demnächst ein Neugeborenes nuckeln wird. Die kleine Miss wird auch, zumindest am Anfang, sehr viel Aufmerksamkeit benötigen, die gleiche 24h-Rundumversorgung wie du. Und sie wird sich in einem unglaublich schnellen Tempo entwickeln, wachsen, neue Dinge lernen. Das soll dich nicht frustrieren, sondern anspornen. Vielleicht kannst du dich auch mit ihr freuen, wenn ihr manches leichter fallen wird.

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Sophie und der kleine Sonnenkönig

Du bist und bleibst unser kleiner Räuber – mein Lieblingssohn sage ich als scherzhaft – daran wird sich nichts ändern. Nur bist du demnächst ein großer Bruder! Das wird man dir wohl nur ein paar Monate lang ansehen, denn in einem halben bis dreiviertel Jahr wird die Prinzessin so groß sein wie du. Dann werdet ihr vielleicht für Zwillinge gehalten und wir können euch in einen Geschwisterbuggy stecken. Und nächstes Jahr im Frühling wird sie wahrscheinlich größer sein als du. Das macht aber nichts. So bist du zunächst ein großer Bruder und dann hast du eine große Schwester, die dich schon bald in ihrem Lauflernwägelchen umher schieben kann. Und vielleicht lernt sie auch deine Räubersprache und dolmetscht für uns. Oder du lässt dich von ihr mitreißen und ziehst deine Siebenmeilenstiefel an (so wie der große Nasenbär-Sohn von Lara). Wer weiß, wer weiß…

Mit einer Schwester bist du nie mehr alleine, auch wenn wir älter werden. Das nervt vielleicht ab und zu, aber die Verstärkung gegen die Eltern wird bestimmt zu manchen Anlässen auch von dir sehr erwünscht sein.

Was die Zukunft bringt ist wie immer ungewiss. Auf jeden Fall bleibt alles anders und wir freuen uns auf die Zeit zu viert. Du musst deinen Thron nicht verlassen, nur ein bisschen zu Seite rutschen. Und du wirst sehen, zu zweit macht das Regieren viel mehr Spaß!

Es gibt viel zu verlieren, Du kannst nur gewinnen
Genug ist zuwenig – oder es wird so wie es war
Stillstand ist der Tod, geh voran, bleibt alles anders
Der erste Stein fehlt in der Mauer
Der Durchbruch ist nah

Herbert Grönemeyer „Bleibt alles anders“

So anders, so gleich – Meine schönsten Sonnenschein-Momente mit Kind.

„Erstes Jahr“ oder „Hurra ich bin da“ – Habt ihr auch so wunderschöne Fotoalben zur Geburt geschenkt bekommen? Meines hab ich mir selbst ausgesucht, es hat viele kleine Glückskäferchen drin und bietet Platz für Fotos, Erinnerungsstücke und zum Aufschreiben der Erlebnisse mit dem kleinen Spatz. Ich wollte mir trotz allem Chaos, unserer ersten Zeit auf der Neointensiv und Kinderintensivstation, das nicht nehmen lassen unserem kleinen Räubersohn auch so ein besonderes Buch für später gestalten.

Diese Gedanken passen sehr gut zu der Blogparade von Mamasdaily auf die ich diese Woche gestoßen bin:

Mein schönster Moment mit Baby/Kind!  Mein Aufruf zur Blogparade, diese läuft noch eine Weile und es haben schon so viele tolle Blogs mitgemacht, mit noch tolleren Momenten 😍  Willst du auch noch mitmachen? Dann los!  http://mamasdaily.net/blogparade-schoenster-moment-mit-kind

Dieses Erinnerungsalbum mit Leben zu füllen, war gar nicht so einfach. Ich versuchte bei den ersten Fotos das richtige Maß zwischen realistischen Bildern und nicht zu erschreckendem Material zu wählen. Einiges war zu heftig, aber auch mit Tubus, und Schläuchen und Brutkasten können ganz passable Baby-Eltern-Bilder entstehen. Meine Wahl fiel unter anderem auf die Fotos von uns dreien vom Känguruen. Das war unser erster schöner Moment. Endlich nach fast zwei Wochen den kleinen Sprössling in den Arm zunehmen, auf der Haut zu spüren an ihm zu riechen. Auch den erste Schrei zu hören, nach dem unser tapferer Knirps nach einem Monat Beatmung endlich extubiert, war wundervoll. (Die darauf folgenden Schreiattacken etwas weniger.)

Das ist aber nichts was in der Regel in so einem Erinnerungsalbum steht. Die meisten Fragen mit entsprechenden Lücken zum Ausfüllen, die im Babyalbum gestellt werden, konnte ich deshalb nicht ausfüllen.

Was sollte ich also schreiben zu den sonst so besonderen Momenten im ersten Lebensjahr:

  • Wo bin ich zum ersten Mal gekrabbelt?
  • Was war mein erstes Wort?
  • An welchem Tag bekam ich meinen ersten Zahn?
  • Wann machte ich meinen ersten Schritt?

Langersehnt waren diese Erlebnisse auch bei uns; gewartet haben wir darauf, zumindest im ersten Lebensjahr, vergeblich.  Rutschversuche machte der kleine Räuber das erste Mal mit 1,5 Jahren, der erste Zahn kam mit zwei Jahren, von Sitzen oder Krabbelnen ist nicht großartig etwas zu sehen, auch jetzt mit fast 2,5. Bei manchen Dingen weiß ich nicht, ob sie jemals noch kommen werden. Viele Kinder die ICP haben sprechen nie oder bleiben auf Rehabuggy oder Rolli angewiesen zum Fortbewegen. Aber deswegen die Seiten im Album leer lassen? Nein. Ich habe mir andere bewegende Momente überlegt, z.B. das erste Mal selbst vom Löffel essen, nach dem die Sonde weg war. Als er zum ersten Mal angefangen hat etwas zu greifen, was noch immer recht selten ist. Denn nur „Auserwähltem“, wie bestimmten Bilderbüchern, wenigen klingenden Kuscheltieren oder Holz-spielsachen, widerfährt die Ehre.

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Und doch einen ganz besonderen und dennoch so normalen Sonnenschein-Moment, der auch im Album auftaucht, den hatten wir auch!

  • Wann habe ich zum ersten Mal gelächelt?

Das erste Lächeln oder überhaupt ab und zu mal lächeln. Das kam bei unserem Liebling langsam mit einem dreiviertel Jahr. Ich hatte wirklich schon große Angst, ob zur Behinderung, den kaputten Nieren und Epilepsie nun auch noch Autismus kommen sollte. Wobei der Kleine schon etwas Kontakt zur Umwelt aufnahm. Er verfolgte singende und erzählende Menschen, lauschte bevorzugt Männerstimmen und schrie gerne und oft. (Wobei er dabei auch sehr goldig sein kann.) Aber ein strahlendes Kinderlachen mit lautem Gekicher – Fehlanzeige.

Der Opa meinte auch nur ganz lapidar, „Ihm ist halt nicht zum Lachen zu mute.“ Das hat mich erst ziemlich geärgert. Es kam mir undankbar vor, dass der Zwerg soviel weinte und eigentlich fast nie lächelte. Tun wir nicht alles, wirklich alles für ihn? Stundenlanges Kuscheln, geduldig füttern trotz dauerndem Spucken, Physiotherapien zur Förderung der Motorik und gegen die schmerzhaften Spastiken, Logopädie zur Verbesserung des Schluckens und Essverhaltens, uns medizinisches Wissen aneignen, um ihm besser helfen zu können, pflegerische Tätigkeiten lernen (die man als Eltern eigentlich nicht gar nicht kennen möchte, wie Abführen), nachts herum tragen bis er aufhört zu weinen und im Arm halten bis er wieder schläft?

Aber mein Vater hatte schon recht, mit der langen Zeit im Krankenhaus, dem Schlauch in der Nase zur Ernährung, dem anderen Kathederschlauch im Bauch für die Dialyse, die andauernden Arztbesuche und Verbandswechsel… Nein, das war auch kein Spaß. Immerhin je länger wir daheim waren und uns besser eingelebt hatten in dem neuen Leben, desto ruhiger wurde er und auch wir. Die regelmäßige Osteopathie half bestimmt auch. Und dann im Sommer, nach den ersten freien Tage zusammen, wurde auch das Lächeln mehr. Wir fanden raus was er mochte, hüpfen auf dem großen Ball, knisternde Folie und viel warmes Sonnenlicht. Wir ließen uns mehr aufeinander ein und unser Schreiling wurde nach und nach zufriedener und schenkte uns lustige Lachschnuten und zahnloses Lächeln. Da ließen sich die noch immer laut vermeckerten Autofahrten und Wasch-Wutanfälle gleich viel besser aushalten.

Inzwischen badet er (meistens) ganz gern, auch das Autofahren geht besser und wir haben einen „Kitzel-Lachknopf“ am Rippenbogen gefunden, bei dem er immer mal wieder kehlig, glucksend lacht. Wer weiß, vielleicht ruft er doch noch irgendwann – „Nein, stopp aufhören, Mama, das kitzelt so!“ Auf jeden Fall träumen wir und seine Großeltern von solchen Momenten ab und zu.

Stillstand -leben in der Blase

Was mich schon immer an kleinen Kindern fasziniert hat, ist wie sie alles aufsaugen, einen nachahmen und sich rasend verändern, wachsen, neue Dinge lernen. Hat man so einen Winzling nur ein paar Wochen nicht gesehen, scheint es schon wieder ein ganz anderes Kind zu sein. Der klassische Oma-Ausspruch „Oh ist der aber groß geworden“ rutscht einem über die Lippen und die Eltern sind stolz wie Bolle. In meinem Pädagogikstudium fand ich besonders Kurse zu Entwicklungspsychologie wie Piaget oder in Ethik das Modell von Kohlberg zur Moralentwicklung unglaublich spannend. In der Schwangerschaft habe ich Woche für Woche mit verfolgt wie unser Junior wächst und sich entwickelt: Jetzt hat er schon Fingernägel, nun ist das Gehör ausgebildet…Dann als er geboren war und Wochen lang ums Überleben kämpfen musste war uns allen klar, dass er nach allem was er durch gestanden hat und  womit er noch immer zu kämpfen hat – von Übelkeit wegen der kaputten Nieren bis Spastiken, Rumpfhyptonie und kleine Anfällen – fortan schier wahnsinnig viel Zeit für jeden noch so kleinen Schritt braucht. Ich übte mich in Geduld.

Wir freuen uns über jede noch so kleine Entwicklung. Immer wieder überrascht er uns, er greift inzwischen nach Holzperlenketten und unser größtes Glück war es bisher, dass er die Nasensonde los bekommen hat nach 1,5 Jahren. Unser Sohnemann versuchte auch sich zu drehen, zu krabbeln, aber dann hört es meist wieder auf. Zwar sind die Großeltern und andere Verwandte und Bekannte unendlich optimistisch. Mir tut es aber weh. Dieses „Das wird schon noch, er braucht nur Zeit.“ Ich kann es bei vielen Dingen nicht mehr glauben und will aufhören mir unrealistische Hoffnungen zu machen. Es ist auch traurig, dass einige einfach nicht wahrhaben wollen, dass er eben behindert ist und, dass das eben nicht weg geht mit Warten oder tausend  noch so tollen Therapien.

Was mich noch mehr bedrückt ist, dass er quasi nicht wächst. Wenn wir mit ihm unterwegs sind, z.B. auf Festen, werden wir gefühlte 200x gefragt „Wie alt ist denn das Baby ?“. (Eine der Smalltalk Fragen, die wie die Rückfrage an kinderlose Paare Mitte 30, „Ob sie nicht mal loslegen wollen, die Uhr tickt“ einfach voll daneben gehen und sehr verletzen kann) Für Verwunderung sorgt, dass das „Baby“ so viele Haare hat. Nur, dass er mit seinen fast zwei kein Baby mehr ist. Dass sehen die Leute eben nicht, da er kaum größer ist als ein 8 Monate altes Kind ist und noch weniger kann. (Nur ein paar Fachleute, Physios und Heilpraktiker erkennen gleich seine ICP an den Spitzfüßen und der Kopfhaltung.) 

Trotz wiederholtem Zahnen und Sabbern, Schreien und was dazu gehört, hat es bisher auch kein Zahn raus geschafft. Woran es genau liegt, dass er so mini ist, weiß niemand. Es könnte sowohl von der Nieren-als auch der Hirnschädigung kommen. Ein paar unserer Ärzte denken sogar, da er dermaßen die Perzentilenkurven gesprengt hat, dass unser kleiner Moppel unterversorgt sei und hören nicht auf uns wegen einer Magensonde (PEG) zu stressen und unter Druck zu setzen. Obwohl das Essen inzwischen toll klappt ,er gern isst (eines der wenigen Dinge die er kann und mag!) und richtige Speckröllchen und ein Doppelkinn hat. Sie meinen ,wir sollen uns freuen, dass er so klein ist, da wäre die Pflege ja leichter

Klar, geht es mehr in die Knochen einen Jugendlichen mit 1,70m zu waschen und zu tragen. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter, wenn ich an die Zukunft denke. Einen jungen Mann noch immer komplett zu versorgen, anzuziehen, Essen geben . Wenn er doch nur etwas selbstständiger werden könnte. Aber selbst für die meisten Hilfsmittel ist er zu klein und zu leicht. Alles muss maßangefertigt werden.Wir bekommen Kleider geschenkt von Freunden deren Kinder über ein Jahr jünger sind als er, was sehr nett und praktisch ist. Aber auch so frustig. Auf Rückfragen von Tanten und Freundinnen welche Kleidergröße er jetzt trägt, kann ich eigentlich immer nur sagen, dieselbe wie vor einem halben Jahr. Sogar manche Hosen von letztem Sommer passen noch.

Seine kleinen Freundinnen und Freunde sagen Baby zu ihm. Decken den Spatz zu wie eine Puppe oder schieben ihn im Lauflernwagen umher. Zuckersüß, aber mir bricht es auch das Herz. „Sie werden so schnell groß“ trifft auf unseren Liebling leider nicht zu. Er scheint seine eigene Zeitrechnung zu haben. Es erinnert mich manchmal an den Film >>Benjamin Button<< wo auch der Lebens- und Zeitverlauf dermaßen auf dem Kopf stehen. Ich komm mir immer wieder wie in einer Blase vor.

Alles verändert sich, nur hier herrscht Stillstand.

(Das Zitat von Julia Engelmann spiegelt wie ich mich immer wieder fühle)

 

Mein Alltag ist der einer Mutter mit krankem Baby. Füttern , Medikamente geben, Trinken einflößen, Krankengymnastik, Essen geben… Ich kann ihm vorsingen, Geschichten erzählen, es kommen nur minimale Reaktionen. Er lautiert kaum, teilt nur manchmal mit meckern mit, was ihn stört.

Natürlich gibt es sie die schönen Momente: Wenn unser Liebling gut drauf ist, sieht er sich neugierig um und wenn wir ihn schaukeln lacht er zauberhaft. Sonst schaut unser Sohnemann einfach gerne dem Spiel von Licht und Schatten oder den Blättern im Wind zu. Er scheint zufrieden zu sein.

Und ich habe Sorge auf ewig ein Baby zu haben und zu versorgen. Bald darf er in die Kita aber die grundlegende Situation bleibt die gleiche.

Aber aus der Blase raus gibt es keinen Weg.

(Bildquelle: https://www.facebook.com/juliaengelmannofficial/photos/a.580008315425033.1073741829.579943082098223/1079070738852119/?type=3&theater )