Wir gehören dazu. Doch zu wem? Es ist kaum begreifbar für uns, dass wir tatsächlich seit nun mehr sechs Jahren unseren bisherigen Orbit verlassen haben. Unglaublich, dass unser Liebling schon so alt ist. Und noch immer habe ich so viele widersprüchliche Gedanken und Gefühle zu ihm, zu mir und uns.
„Mittendrin – daneben. Sechs Jahre in der Anderswelt.“ weiterlesenKategorie: Icp
Jetzt leben. Mit Herzblut dabei, ohne auszubluten.
Eigentlich mag ich den – leider inzwischen inflationär zitierten – „Pflücke den Tag“ Spruch sehr gern. Es ist auch eine der wichtigsten Regeln im Buddhismus, das im-Hier-und-Jetzt-Leben ohne zu sorgenvoll nach Vorne oder Zurück zu blicken. Nur was, wenn die Gegenwart nur wieder einmal wenig erbaulich ist? Dann braucht man doch Hoffnung darauf, dass es besser wird, oder?
Seit ich mich erinnern kann, habe ich mich immer wieder aufgerichtet in dem ich mir überlegt habe, worauf ich mich freuen kann. Wenn ich etwas zu bewältigen hatte, das mich gestresst hat und wobei ich keine Freude hatte, führte ich mir immer vor Augen, wozu es gut ist oder was danach Schönes auf mich wartet. Das hat gut gekappt, um mich für leidige Prüfungen, Ferienjobs und ähnliches zu motivieren. Sich selbst zu belohnen mit Dingen und Erlebnissen, die uns wirklich gut tun, vergessen wir als Erwachsene und – vor allem wir pflegenden Mütter – oft. Und es ist auch einfach nicht mehr so leicht mit all der Verantwortung, den nie endenden To Do’s.
Während den langen Corona Wochen habe ich kaum Pläne gemacht. Es gab ja nichts zu unternehmen und vieles von unserem normalen Familien- und Therapiealltag war hinfällig. Das hat uns in gewisser Weise entschleunigt und auch den Druck genommen mit dabei zu sein oder Sachen anzugehen, die eigentlich etwas zuviel sind. Das merke ich ganz deutlich, jetzt wenn wieder mehr an uns heran getragen wird und zahlreiche Termine anstehen. Obwohl wir beide zu Hause waren, ist uns in keiner Weise langweilig geworden. Ich habe neue Schreibaufträge bekommen und hatte noch mein übliches Homeoffice zu stemmen, während Kita und Kindergarten geschlossen waren und einiges ausfiel wie Therapien. Vor lauter um die Kids kümmern, vor allem die kleine Miss beschäftigen – am liebsten neben Toben mit den 3 B’s: Basteln, Backen, Baden – die Kita-Freunde und die Förderung vom Räubersohn zu ersetzen, wurde uns auch nicht fade. Nur fehlte der Ausgleich. Zuerst konnte ich noch etwas Sport machen, dann ging immer mehr die Energie flöten zudem rückten wieder unschöne Termine näher.
Die Intensivpflegegenehmigung der Krankenkasse lief aus und auch die große Hüft-Op des kleinen Königs ist plötzlich zum Greifen nah. Und das alles während ich noch in der Probezeit bin bei meiner neuen Arbeit. Vieles, das wir gerne erledigt hätten dieses Frühjahr, blieb liegen. Aber zwei Dinge haben wir geschafft: Einen neuen Bus anzuschaffen, nach dem uns beide Autos vor dem Lockdown im Stich gelassen hatten, den wir dann auch Rolli tauglich umbauen werden…
Und – ich habe es ja schon angedeutet im letzten Beitrag – wir haben es gewagt und uns um einen Platz für unseren Junior in einem Regelkindergarten bei uns im Wohnort bemüht. Und jetzt kann ich es offiziell sagen, es hat geklappt! Wir haben die Zusage zur Eingewöhnung im gleichen Kindergarten in den auch seine wilde Schwester gehen wird! Das war ein Glücksmoment und sehr unverhofft, weil wir wirklich mit mehr Gegenwind gerechnet haben. Er wird von der Gruppenleitung als Bereicherung gesehen und sie hat wirklich Lust darauf die neue Gruppe inklusiv zu gestalten, genau was wir uns erträumt und erhofft haben!
Wir sind dankbar, weil wir wissen, dass das trotz UN-BRK Inklusion nicht selbstverständlich ist. Gerade in Baden-Württemberg, dem Musterland der Förder- bzw. Sonderschulen, denn während von Inklusion als Ziel benannt wird erhöht sich parallel die Quote der Kinder die in Sonderschule separiert sind.
Für’s Erste darf der kleine König also mit seinen Nachbarskindern zusammen und einer Gruppe sein und kommt um seine ungeliebten Busfahrten herum, nun kann er auch spontan heimgehen an schlechten Tagen. Leider bekommen wir auch von ein paar Seiten Kritik – aber das ist ja nichts Neues. Wie lange unser Junior jetzt einen Fuß breit die Anderswelt verlässt, wird sich zeigen. Denn spätestens zum Schulstart ist in Schwaben meist Ende mit inklusiven Modellen – gerade für mehrfach behinderte Kinder. Wir werden sehen …
Auch von der Krankenkasse kam dieses Jahr das Ok für die Fortführung der Intensivpflege nur durch Einreichen der angeforderten Unterlagen. Das ist ebenfalls nicht selbstverständlich, denn wir waren vor zwei Jahren deswegen schon Wochen in der Luft gehangen und hatten schon einen Termin beim Anwalt. Eventuell auch ein Corona Nebeneffekt, denn gerade wird viel nach Aktenlage entschieden.
Aber so richtig aufatmen können wir aus mehreren Gründen nicht (die ich aber nicht alle ausführen kann). Vieles ist einfach noch unsicher und der Pflegenotstand ist weiter spürbar.
Auch das leidige IPReG, das trotz vehementer Proteste und über 200 000 Unterschriften bei der Petition der Gegner*innen erlassen wurde, sorgt nicht gerade für Entspannung unter uns pflegenden Eltern von Kindern, die ein Leben lang auf professionelle Pflege angewiesen sind. Bereits gegen seinen Vorläufer das RISG bin ich im Namen der Pflegerebellen 2019 auf die Straße gegangen, wie viele selbst Betroffene sowie andere pflegende Angehörige. Unfassbar, dass dieser Menschen verachtende IPReG-Entwurf, der die Selbstbestimmung und Versorgung von beamteten und anderen Intensivpflege bedürftigen Menschen gefährdet, gerade während einer Pandemie von der großen Koalition durchgeboxt wurde, bei der auch kerngesunde Menschen plötzlich auf Beatmung angewiesen sein können. Leider kann nicht direkt eine Verfassungsklage gestartet werden – erst, wenn es belegte Verstöße im Bereich der Intensivpflege gibt – die könnt ihr hier melden beim IPReG-Briefkasten von Abilitywatch.
Und auch, wenn viele Menschen so tun, als sei Corona vorüber und als sei der Mundschutz eine Knebel, ist die zweite Welle relativ wahrscheinlich. Und das, wo wir schon bald stationär gehen und den ganzen Sommer in Klinik und Reha verbringen werden.
So bleiben wir trotz dieser beiden positiven Ereignisse weiter angespannt. Unser Sommerurlaub wird mangels nicht-Existenz also nicht durch Corona ruiniert. Wir waren auch schon ein paar Tage draußen. Mal wieder mit dem, von den Schwiegereltern geliehenen, Wohnmobil. Zwar nicht weit weg – aber doch ein kleiner nötiger Atmosphärewechsel wieder in einer unserer Lieblingsecken im Fränkischen. Das haben wir vier trotz anfänglichem Regen sehr genossen, diese kleine Familien-Auszeit zusammen.
Ich bin sehr froh, über diese guten Nachrichten, die kleinen Pausen und dass ich mich während der Ruhephase in der Pandemie, als in unserer Region kaum Neuansteckungen gab, etwas raus getraut habe. Und zwar raus im wirklichen Sinn auf eine schöne Terrasse mit anderen Mamas und mit ein paar Freunden in den Garten zum Verschnaufen und Abschalten. Das hat mir sehr gut getan. Auch die Großeltern haben die Krise bisher gut überstanden und sind wieder für uns da. Für all das Gute bin ich dankbar und rufe mir das auch immer wieder in ruhigen Momenten vor Augen. Diese Jetzt-Zeit genieße ich und versuche in schlechteren Tage davon zu zehren.
Kurz danach ging es schon wieder rund und leider auch bei einigen Bekannten auch ziemlich bergab. Immer wieder erleben ich wie pflegende Familien der vermeintlich sichere Boden unter den Füßen wegbricht. Plötzlich tauchen neue Probleme auf oder bereits lange ruhende Erkrankungen kommen mit voller Wucht zurück. Immer wieder stirbt ein Kind viel zu früh. Das macht mich sehr traurig und verunsichert, ja ängstigt mich. Eigentlich kann ja niemand in der Gewissheit leben, dass alles weiter läuft wie bisher – ein kleiner Unfall oder eine plötzlichen Krankheit kann alles aus den Angeln heben. Nur, dass Menschen, die ohnehin ein großes Päckchen zu tragen haben, dazu noch weitere Brocken aufgeladen bekommen, das erschreckt mich, ich fühle und leide auch mit.
Einige von diesen Eltern sind auch so engagiert und kämpfen wie ich mit Herzblut für die Rechte unserer Lieben aber auch unsere eigenen als pflegende Angehörige. Zu sehen wie sie leiden ist grausam. Und da kann ich mich schwer abschirmen. Empathie macht verletzlich. Ich habe beides entwickelt über die letzten Jahre: Einerseits dringt so manches nicht mehr zu mir durch, gleichzeitig bin ich dünnhäutiger geworden und kann mich oft schwer abgrenzen. Mir ist es bewusst, ohne dass ich es ändern kann. Es ist gefährlich auszubluten. Aber wie soll etwas ins Rollen kommen, wenn es halbherzig betrieben wird?
So lange ich Kraft hab, setzte ich mich immer wieder ein für Dinge, die mir wichtig sind. Das gibt mir Sinn und Halt und das Gefühl, doch etwas zu bewegen zu können, so kommt manches an Energie auch zurück. Aktuell bin ich dabei Inklusionsaktivisten vorzustellen, z. B. Junge Inkluencer*innen, die in unserer Region engagiert sind (im aktuellen Stimmt! Magazin) oder wie Laura Mench und Sarah Georges gegen IPReG kämpfen (kommende Ausgabe der Beatmet leben).
Auch hier starte ich demnächst eine neue Reihe mit Kurzinterviews mit Inkluencer*innen und Aktivist*innen für Inklusion und Teilhabe!
Was ich sonst noch mache? Ich durfte auch für das MOMO Magazin darüber berichten, warum es mir so wichtig ist – neben meiner unbezahlten Carearbeit als pflegende Mutter – einer anderen Berufstätigkeit nach zugehen und werde im nächsten MOMO-Heft Eltern vorstellen, die das Beste aus ihrem neuen Leben in der Anderswelt gemacht haben und wie ich versuche mich in positive Aufwärtsspiralen zu bewegen und andere damit anzustecken.
Ihr seht, auch wenn es hier nur allen paar Monate etwas von mit zu lesen gibt, findet ihr meine Anderswelt-Berichte auch anderswo. Und so erreiche ich hoffentlich noch mehr.
Nun drückt unserem Räubersohn bitte alle eure Daumen und guten Gedanken für den anstehenden Eingriff – in einer unserer liebsten Kliniken – und die anschließenden Reha, dass unser Liebling im Herbst dann wieder gut „auf die Beine kommt“ und uns allen solange nicht die Puste ausgeht.
Reihe 》Wir brennen aus!《 – pflegende Eltern berichten. Gastbeitrag II. von Johanna.
Wir sind mal wieder stationär – Urlaub im Krankenhaus -mit dem Räubersohn. Gott sei Dank mehr eine Reha, in einem schönen Kurort in NRW, als ein klassischer Klinikaufenthalt. Daher bin ich mit all dem Drumherum noch nicht zum Schreiben gekommen. Aber dafür bekommt ihr hier einen weiteren Gastbeitrag einer pflegenden Mutter in meiner Reihe 》Wir brennen aus!《. In der Hoffnung, dass die Missstände in der Angehörigenpflege, die viele von uns pflegenden Eltern betreffen, endlich wahrgenommen werden!
„Liebe Verena Sophie
Ich folge deinem Blog und möchte ein paar Zeilen schreiben.
Wir sind mittlerweile eine vierköpfige Familie. Ich (34), mein Mann Frank (35), Levi (wird Anfang Januar 6) und unsere Tochter Maja (6 Monate).
Unser Sohn Levi ist schwerst mehrfachbehindert, er hat PG 5. Levi hat durch einen seltenen Gendefekt mit einigen Baustellen zu kämpfen. Er ist Epileptiker,leidet unter einer CP, einer Entwicklungsverzögerung und zum Teil heftigen Dystonien.
Levi hat seine eigene Sprache entwickelt und ist kognitiv sehr gut.
Was uns stört ist die Tatsache, dass die Pflege durch die Familie anscheinend viel weniger Wert ist als die Arbeit durch einen Pflegedienst.Wir haben als Eltern immer das Gefühl als Bittsteller bei der Krankenkasse vorstellig zu werden,so als würden wir unmögliche Dinge für unseren Sohn fordern.Dabei sind es doch einfach nur Dinge,die Levi zustehen.Es wäre uns auch lieber Levi bräuchte z.B. keine Windeln,keine Medikamente, keinen Rollstuhl….
Gerade bei der letzten Rollstuhlversorgung gab es immense Probleme und Levi saß lange in einem viel zu kleinen Rollstuhl.Und bekam dann einen Rolli aus dem Bestand der Krankenkasse, der wirklich unter aller Kanone war/ist.
Und das Thema Windeln ist auch ein leidiges Thema,genau wie die wirtschaftliche Aufzahlung auf zwei von drei Medikamenten.Und eine ist ordentlich.Von diesem Medikament benötigt Levi pro Monat eine Packung. Zuzahlung 54€. Das Generikum verträgt Levi nicht.Wir haben zum Glück eine sehr bemühte Apotheke,die immer versucht da einen Ausweg zu finden.
Es kann doch nicht sein,dass chronisch Kranke so viel zahlen sollen,wo die Krankenkassen immense Gewinne erzielen. Levi nimmt die Medikamente nicht zum Spaß.
Ich musste für Levi meine Arbeit aufgeben und er ist mein 24 Stunden Job. Die Entlohnung ist dafür gering und das Leben mit besonderem Kind teuer.Sicher mein Mann arbeitet,aber wir mussten jetzt zb einen Bus kaufen und das will ja alles auch irgendwie bezahlt werden. Ganz zu schweigen von baulichen Maßnahmen.Mit dem Zuschuss der Krankenkasse kommt man nicht weit.
Insgesamt werden die Familien ziemlich im Regen stehen gelassen und pflegende Angehörige von Kindern werden eigentlich grundsätzlich vergessen.Anscheinend denkt man die Pflege von behinderten Kindern sei ein Klacks. Jeder der mal ein Kind mit starken Spastiken gewaschen und angezogen hat, weiß, dass das nicht stimmt.Es ist ein Knochenjob,körperlich und emotional.
Sicher gibt mir mein Sohn unheimlich viel zurück,aber trotzdem ist es ein Knochenjob.Und dieser ständige Kampf mit den Krankenkassen und Behörden ist grausam.Wir wünschen uns einfach mal Empathie,aber selbst das ist wohl zuviel verlangt.
Ich weiß nicht,ob ich jetzt alles abgesprochen habe,was uns stört,aber ich wollte mein kleines Zeitfenster nutzen, um dir ein paar Zeilen zu schreiben.
Ich wünsche euch alles Gute.
Liebe Grüße Johanna“
Nach Adeli: Sommertief statt unbetrübten Urlaub. Wie wir als pflegende Eltern hängen gelassen werden.
Überraschende Kehrtwende – als ich bei unserer privaten Krankenversicherung anrief, um mitzuteilen, dass sich künftig ein Fachanwalt für Sozialrecht für unsere Belange und unser gutes Recht – die intensive Behandlungspflege unseres schwer kranken Lieblings – einsetzen wird, teilte man uns mit, dass das zweite Gutachten sowie die nun (endlich nach 1,5 Monaten Bitten und Betteln erstellen) neuen Arztberichte ergeben hätten, dass uns kleiner, mehrfach behinderter Sohn mit PG5 TATSÄCHLICH Intensivpflege in hohen Umfang benötigt. Allerdings nur befristet…oh Wunder. ..
Das heißt wir haben jetzt eine Verschnaufpause bis 2019. Dann geht das Argumentieren, Prüfen, Streiten etc. Wohl von vorne los! Auf jeden Fall unterstützen wir die von uns angeleierten Aufruf an den Gesundheitsausschuss des Bundestags weiter und setzen uns dafür ein, dass pflegende Eltern und ihre behinderten, kranken Kinder die nötige professionelle medizinisch-pflegerische Versorgung bekommen, die ihnen zuseht und entsprechend verordnet wurde!
Die Krankenkassen können sich nicht um ihre primären Daseinszweck drücken – sie haben für Schwerkranke aufzukommen, dafür zahlen wir alle Beiträge und leben in einem Sozialstaat!
Eigentlich hatten ich euch versprochen noch über die Adeli Therapie zu berichten – aber schon in den Tagen der Hinfahrt war absehbar, dass zu Hause massiver Ärger auf uns wartet. Leider überschattet der Krieg mit der Krankenkasse um die dringend nötige intensive Behandlungspflege unseres chronisch kranken und schwer mehrfach behinderten Räubersohns unseren gesamten Sommer.
Zunächst noch die – zugegeben komprimierte – Zusammenfassung zur intensiv Rehabilitation, dem Babymed in Piestany – Adeli II:
Nun mit regelmäßigen Blutdruckkontrollen vor und nach dem Physiotraining und häufiger Gabe des Bedarfmedikaments, durften wir das Adeli-Programm weiterführen. Das heiße Wetter war natürlich zusätzlich eine Hürde und der kleine König ist oft recht lasch gewesen. Laut Arzt und Physiotherapeuten absolvierte der Junior nur circa ein Fünftel des regulären Programms. Aber hey – es ist schließlich kein Wettkampf! Wenn das reicht, ist das doch in Ordnung. Wir kamen nicht mit dem Ziel ihn laufend mit nach Hause zu…
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Auf Wiedersehen Slowakei – gemischte Gefühle bei der Intensivtherapie
Über 800km für eine Therapie fahren, echt jetzt? Das machen wir auf keinen Fall leichtfertig. Es ist jetzt auch nicht so, dass wir auf Wunder hoffen oder verzweifelt wären, aber vom Adeli Medical Center in der Slowakei war immer wieder die Rede, wenn ich mich mit anderen Eltern von ICP-Kids unterhielt. In diesem Blogbeitrag berichte ich euch von unserer ersten Adeli Therapie, vorallem dem Programm für Babys und Kleinkinder, das mein Sohneman absolviert hat. Es ist nicht als Werbung gedacht, sondern steht lediglich für unsere persönliche Erfahrung – soweit man nach einem einzigen Aufenthalt, der gerade erst vorüber ist, überhaupt mitreden kann. Daneben will ich aber auch schildern was unsere Premiere (und unser Stress mit der Versicherung im Vorfeld) alles an Gedanken- und Gefühlskarusell bei mir los getreten hat.
Kurz nachdem ich, wenige Monate nach der verherenden Geburt, die Diagnose Cerebralparese (d.h. Schädigung des Gehirns) durch eigene Recherche heraus gefunden hatte, stolperte ich immer mal wieder über das neurologische Rehabilitationszentrum in Piestany unweit von Bratislava. Doch mit einem Dialyse pflichtigen Baby ist es nicht so einfach große Sprünge zu machen. Selbst Reha- und Förderzentren in Deutschland hatten in dieser Zeit Bedenken ihn aufzunehmen. (Was ich noch immer sehr bedauerlich und auch nicht nachvollziehbar finde. Denn eine Bauchfelldialyse kann man selbst als Laie durchführen und der Katheter ist nicht viel komplizierter als Peg-Magensonde in der Pflege.) Weil wir in seinem Babyalter alle auch noch ziemlich gebeutelt von der dreimonatigen Klinikzeit waren, wäre eine lange Fahrt ins Ausland uns noch zuviel gewesen. Jetzt, da unser kleiner König schon länger dialysefrei stabil ist, wollten wir es doch wagen. Denn die Spezialisierung des medizinischen Zentrums passt eben zu gut zu unserem Kleinen und seiner Problematik mit den Spastiken und generell der Bewegungskoordination.
Unglücklich im Vorfeld waren die drei Operationen im Frühjahr, die wir zum Zeitpunkt der Anmeldung, im vergangenen Herbst, noch nicht erahnen konnten. Da war der kleine König in einer wirklich guten Verfassung, hielt schön seinen Kopf und versuchte, wenn er im seinem Sitzsack umplumste, sich wieder aufzurichten. (Das ist wohl v.a. dem Training mit der Vibrationsplatte und den regelmäßigen Stehübungen in der Hirschfeld-Orthese zu verdanken.) Doch nach den zwei Anläufen für die PEG und die Fundublikatio mit Komplikationen in Februar und April war unser Junior ganz schön geplättet. Aber der letzte und kleinste Eingriff, die Myofasziotomie, sollte unbedingt durch sehr intensive Physiotherapie in der Wirksamkeit unterstützt werden.
Kurz hatten wir noch überlegt Adeli abzusagen und statt dessen hier eine Reha zu machen. Doch alleine die Vorstellung an die Gängelung durch Schlafens-, Besuchs- und Essenszeiten und weitere Reglementierung, die wir in deutschen Kinderkliniken und Zentren schon erfahren haben, ließen uns an dem Entschluss festhalten zu viert während MaPas Elternzeit Richtung Osten aufzubrechen.
Dass die Krankenkasse höchst wahrscheinlich die Behandlungskosten nicht oder höchstens teilweise erstatten – ganz zu schweigen von Anfahrt, Kost und Logis – nahmen wir auch in Kauf. (Und hoffen erstmals auch auf Spenden – siehe unten). Ich besorgte möglichst viele Verordnungen vom SPZ und Kinderarzt zum geplanten Babymed Programm, wofür wieder besondere Überredungskünste von Nöten waren. Wir bestellten die speziellen Medikamentezubereitungen für die gesamte Zeit, Sondennahrung und unzählige Spritzen, packen den üblichen Wahnsinn sowie sonstiges medizinisches Zubehör ins Wohnmobil der Schwiegereltern ein und machten uns Mitte Juni gespannt auf den weiten Weg. Dabei fand ich es von Anfang schwer mir zum einen vor Augen zu führen, dass das hier anstrengend werden wird und hoffentlich auch etwas anstößt – und gleichzeitig nicht zu hohe Erwartungen zu stellen. Was schwierig ist, wenn man von traumhaften Erfolgen anderer stark beeinträchtigten Kinder hört, die dort seit Jahren möglichst alle sechs Monate zwei bis dreiwöchige Therapien buchen.
Bei uns lief es – obwohl der Räubersohn fast vier ist – auf das neurologische Rehabilitationsprogramm “Babymed” hinaus. Er wäre leider ohnehin zu klein für den tollen Weltraumanzug gewesen, der ein Kernstück der klassischen Adeli Therapie für Kinder und Erwachsene ist.
Diese Entscheidung für das Babymed war goldrichtig, denn während das Programm für die älteren ganze fünf Studenten täglich geht, ist das für die jüngsten mit zweimal eineinhalb Stunden deutlich kürzer und außerdem ist samstags Therapie frei. Das längere Programm wäre nach diesem OP-Frühjahr definitiv zu viel gewesen. Die Zeiträume sind natürlich nicht reine Trainingszeit. Beide Programme bestehen zu großen Teilen aus aktivierenden und regenerativen Anwendungen, wie ausgedehnten Massagen (für die Großen Wärme- und Kälteanwendungen) sowie für alle ergänzende Maßnahmen wie verschiedene Sauerstoff- oder Laserbehandlungen. Die neurologischen Übungen waren eine Mischung aus Physio- und Ergoherapie mit ausgedehnten Streching und vielen Bewegungen, die ähnlich wie die Kinesologie oder Petö, auch die geistige Entwicklung unterstützen sollen. Programm von kurz vor neun bis circa halb elf und nach dem Mittagessen nachmittags von kurz nach eins bis halb drei mit kleinen Pausen, ist auch für die Begleitperson anstrengend.
Wir planten uns deshalb aufzuteilen, so dass der MaPa und ich abwechselnd den kleinen König zu den Anwendungen begleiten konnten während der andere mit der kleinen Miss herum wuselt.
Als wir an der gar nicht so kleinen slowakischen Kurstadt ankamen, waren wir ganz positiv überrascht: Das Therapiezentrum strahlt “Ostblockcharme” aus, ist aber ganz von Grün umgeben und in der Nähe ist ein Fluß mir schönem Fuß- und Radweg und ein netter Stausee mit ansprechender Gastronomie. Auch mit unserem Familienappartement hatten wir Glück: Wir bekamen zwei zusammen gelegte bereits sanierte Zimmer mit Balkon und barrierfreien Bad. Allerdings war es ganz schön heiß. Und das bekommt unserer Junior ja nie besonders. Bei den ersten Therapiestunden zeigte er zunächst wenig Interesse, schlief manchmal auch ein. Für uns ist das nichts Neues, dass der kleine Kerl bei hohen Temperaturen sehr schnell schlapp wird.
Nur kennen ihn die Herrschaften hier eben kaum. Unser erster großer Dämpfer folgte deshalb bereits nach vier Tagen, da wollte uns der betreuende Arzt tatsächlich um ein Haar heim schicken! Er meinte seine Spastiken bzw. Klonies könnten epileptisch sein. Denn was irritierend beim Blick in seine Arztbriefe ist, der Räubersohn hat zwar Epilepsie bekommt aber zur Zeit kein Antiepileptikum bis auf ein Notfallmedikament. Seine Mikro-Sekundenanfälle gehen so vorüber und gehen die nächtlichen Anfälle haftet es auch erhöht nichts. Wobei seine Ärztin gerade das Zittern und Aufschrecken eher als Bewegungsstörung ansehen . (Das ist mit ein Grund weshalb die Kasse uns gerade die Pflege streichen will!) Prima – und hier sollen wir deshalb aufhören. No way! Dazu kennen wir unseren Erstgeborenen zu gut. Auch der stets hohe Blutdruck beunruhigte den Doktor vor Ort. Dabei ist es eben die Begleiterscheinung der beschädigten Nieren und er wird wohl nie den Werten von Gleichaltrigen entsprechen. Außerdem könne er uns keine großen Erfolge versprechen resumierte der Arzt. Man könne es ja etwas weiter probieren mit passiven Übungen. Das sitzt. Wir sind ganz schön vor den Kopf gestoßen.
….
Andererseits sind wir ja nicht gekommen mit dieser hohen Erwartungshaltung! Und wir haben Gott sei Dank auf unserer Bauchgefühl gehört und weiter gemacht…
Zweiter Teil folgt
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Zum ersten Mal trauen wir uns um Unterstützung zu bitten, da die Therapie mit allem drumherum doch unser Budget übersteigt. Wer etwas dazu beitragen möchte, kann dies über den Verein Solidaria e.V. tun https://www.solidaria-ev.de/diese-kinder-brauchen-hilfe/ (Das erste Kind – Verwendungszweck: Für Mattis Therapie und Hilfsmittel .)
Erholsame Klinikauszeit und böses Erwachen.
Wir waren nach Pfingsten zu Gast in der „GNTK“ – Germanys Next Top Kinderklinik“ Dritterorden in München. Das war fast wie ein erholsamer Kurzurlaub. Leider folgte darauf eine unschöne Überraschung zu Hause.
Gleich vorweg – nein, das ist nicht ironisch gemeint! Wir hatten wirklich eine gute Woche zusammen in der Bayrischen Landeshauptstadt in der Kinderklinik, die wirklich drei Orden verdient.
Ich muss euch ein bisschen davon erzählen, weil ich denke, da könnten sich einige Krankenhäuser und Mediziner etwas von abschauen. Dass jemand andere Erfahrungen gemacht ist natürlicher möglich, unser Bericht ist subjektiv. Ich kann eben nur von unseren Erlebnissen, unseren 6 Tagen auf der orthopädischen Station dort berichten. Die waren nicht 100% positiv, aber doch überraschend gut.
Zugegeben wir hatten in mehrererlei Hinsicht Glück: Da der MaPa technischer Lehrer ist und Pfingstferien waren,hatte er die ganze Woche frei und wir konnten zu viert los. Außerdem stellten uns seine Eltern, wie schon öfter, ihr Wohnmobil zur Verfügung! Wir haben uns im Vorfeld schon Gedanken gemacht wo wir wohl in Kliniknähe das große Gefährt platzieren können: Bei den Kleingärtnern, dem Freizeitsportgelände oder notfalls sogar am Friedhofparkplatz laut googlemaps. Auf gut Glück sind wir dann zu der Parallelstraße zum Hauptgebäude gefahren nahe der Notaufnahme und dort war ein langer Parkstreifen ohne Verbote, maximal Parkdauer oder Gebühren. Jackpot! Die Lage der Dritterorden Kinderklinik ist auch wirklich genial. Nebenan ein kleiner Wald mit einem Zelthostel (The Tent), ums Eck der Botanische Garten und nicht weit entfernt der Schlosspark Nyphenburg.
Das Essen war etwas Klinikmäßig aber schon ganz okay mit einem Hauch von Vitaminen. Dafür war die Cafeteria top mit leckeren kalten und warmen kleinen Gerichten und sage und schreibe sechs Sorten Bier zur Auswahl – das gibt’s auch nur in Bayern. (Und in meiner blau-weißen Zweitheimat fühlen wir uns schon immer wohl.)
Was uns sehr freute: Wir hatten viel Privatsphäre, alle Kids sind in Einzelzimmern untergebracht und das Bett der Begleitperson durfte stehen bleiben. Die Duschen waren zwar auf dem Gang aber es wurde alles oft geputzt, so dass das typische Krankenhaus-Ekelgefühl überhaupt nicht aufkam. Auch das Gebäude ist selbst schön hell mit Grünpflanzen und einem gratis Karussell im Innenhof sowie einigen Automaten für Snacks und Tischkickerbällen. Draußen gibt es noch einen Spielplatz und Brunnen sowie Rasenfläche, sehr zur Begeisterung der kleinen Miss, die inzwischen nicht mehr zu halten ist. Auch von medizinischer Seite und Ausstattung waren wir sehr zufrieden. Sehr nettes Pflegepersonal, das uns unterstützen aber auch nicht Dauer präsent war sowie nahbare Ärzte, die sich persönlich entschuldigen als – einer der wenigen Wehmutstropfen – sich der Op Termin zuerst nach hinten und dann um einen Tag verschob. Der Eingriff selbst verlief gut und wir sind eigentlich ganz froh, hier gelandet zu sein nachdem die Anästhesisten, der für Ulzibat/Myofasziotomie bekannten Schönklinik sich nicht an unseren Nieren kranken kleinen Sohnemann ran getraut haben.
Wir hatten es auch von Petrus Seite recht gut verwischt und waren insgesamt viel draußen unterwegs mit den Kids in ihren Buggys. Bis auf den Op Tag natürlich, aber schon am Tag darauf bekamen wir wieder Ausgang was beim schwülen Wetter sehr gut tat. Denn unter den großen Bäumen des Schlossparks ließ es sich deutlich besser aushalten als auf Station. Auch im nahen Biergarten und beim Griechen, der ebenfalls in derselben Straße seine Terrasse hat, und im Villenviertel waren wir spazieren. Gern wären wir einen Tick früher wieder abgereist, aber unterm Strich sind wir wirklich sehr zufrieden gewesen und können die Einrichtung getrost weiter empfehlen. Die Woche fühlte sich mit den vielen kleinen Unternehmungen fast wie Urlaub an.
Epilog :
Gott sei dank hatten wir keine Ahnung, dass wir kaum dass wir daheim waren ein Himmelfahrtskommando erwarten sollte. Während wir nur alle Vorbereitungen für die Auslandsreisen trafen, zu der wir nur knapp zwei Wochen später aufbrechen wollten. Kam der Unglück verheißende Brief der privaten Krankenversicherung mit dem großen D – angeblich bestehe kein Intensivpflegebedarf. Und wir fielen aus allen Wolken. Unglaublich wir hatten ja wegen der furchtbaren Nächten mit schlimmsten Schreiattacken und Atemaussetzern,die vor rund 14 Monaten begannen, seit langem vehement um MEHR Unterstützung gebeten. Jetzt konnten nur, nach mehreren schlaflosen Nächten eine mehr schlechte als rechte Übergangslösung treffen. Denn inzwischen sind wir schon unterwegs Richtung Osten. Nach der Faszien-Op ist nämlich genau der richtige Zeitpunkt, um die (zumindest zeitweise) wieder gewonnene Bewegungsfreiheit zu nutzen und zu trainieren, dass die Spastik nicht die Oberhand behält .
Das Gutachten, das wohl wieder direkt von Grimm’s Erben verfasst wurde (wäre ja nicht das erste mal), habe ich noch nicht erhalten. Sobald ich es in Händen habe, werde ich es nach allen Regeln der Kunst zusammen mit unseren Ärzten zerlegen und notfalls mit Hilfe des Sozialgericht anfechten. Auch Wut kann einem neue Kraft geben, fragt sich nur für wie lange. Jetzt sind wir ab nächsten Montag erst einmal bei der Adeli Therapie in der Slowakei. Dann geht die unendliche Geschichte des Kämpfens weiter. Und ich dachte, danach wäre erst einmal Ruhe angesagt und Zeit für mein Buchcafé Projekt. Zu früh gefreut. Aber irgendwie geht es weiter. Step by Step. Aufgeben ist keine Option.
Und wir haben auch Positives in Aussicht: Auf dem Weg sind wir noch auf einer Hochzeit von lieben Freunden und unsere Piratenprinzessin wird tatsächlich schon ein Jahr alt.