Wie schön, dass du geboren bist, Räubersohn. Das Geburtsprotokoll deines schweren Starts ins Leben.

 

Es gibt Monte-Kuchen mit Fröschen und kleine Igel-Muffins, für dich mein Räubersohn als Brei in Milch aufgelöst. Wir singen:  „Zum Geburtstag viel Glück„. Wie schön du lachen kannst und was für ein großer Junge du inzwischen geworden bist. Mit drei Jahren geht es so richtig los, die meisten Kids werden selbstständig, haben keine Windeln mehr an, schlüpfen allein (oft widerwillig) in ihre Kleider und trotzen. Das Letzte kannst du auch ganz ordentlich. Wehe, du darfst nicht auf dem Arm oder das königliche Mahl mundet nicht…Wobei du dein neues, buntes Snoezi-Lagerungskissen gerne magst, dich gelegentlich sogar absetzen lässt. Wie gerne würde ich mit dir Laterne laufen oder Kürbisse schnitzen, einen wilden Jungs Kindergeburtstag feiern. Du bist aber schon müde, nur von der Feierei , dem Hoch-leben im Kindergarten. Wir haben nur die Großeltern und Paten zum Kaffee eingeladen.

Wie schön, dass du geboren bist. Wir hätten dich sonst sehr vermisst.“
In Gedanken bin ich oft wo anders, wie jedes Jahr liegt an diesem Tag , deinem Geburtstag, ein großer Klumpen auf mir. Fast wäre dein erster, dein letzter Tag gewesen.  Ich möchte fröhlich sein, es ist doch ein Wunder wie stabil du jetzt schon eine Weile bist, dass wir endlich wissen, dass es vor allem zunehmende Spastiken sind, die dich nachts schreien lassen und wir nun daran sind das richtige Medikament dagegen zu finden.

Ich möchte mich endlich lösen von dieser traumatischen Erfahrung vor drei Jahren, sie hinter mir lassen, so gut es geht. Den Geburtsbericht der kleinen Miss habe ich ja bereits veröffentlicht, nun folgt das Protokoll des Oktobertags, der mein, der unser Leben, für immer tiefgreifend verändert hat:

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                  Geburtsprotokoll des Räubersohnes (aufgeschrieben kurz nach der Geburt):

“ In der Woche vor der Geburt war ich noch einmal zur Routineuntersuchung bei meiner Frauenärztin, die nichts Auffälliges feststellte. Unser zappeliger, aktiver Babyjunge lag mit dem Kopf nach unten, er war nur noch nicht abgesenkt. Deshalb empfahl sie mir, falls nun die Geburt beginnen sollte, dass ich mich vom Rettungsdienst liegend ins Krankenhaus bringen lassen soll. Sie wünschte mir alles Gute, da ich nur zwei Wochen vor dem errechneten Geburtstermin war und sie in den Urlaub ging.
Außerdem hatte ich mich im Vorfeld auch schon zweimal in dem nahegelegenen Regionalen Krankenhaus vorgestellt, bei dem ich im Hebammen-Kreissaal, d.h. wie in einem Geburtshaus ausschließlich mit Hebammenbegleitung mein Kind zur Welt bringen wollte. Dafür bekam ich im Vorfeld auch die nötige Freigabe, da alles Erforderliche – was an wirklich viele Bedingungen geknüpft ist: Guter Eisenwert, kein Diabetes, passende Kindslage, komplikationslose Schwangerschaft etc. stimmten.

Am Tag der Geburt musste ich nachts oft auf die Toilette, als ich mich wieder ins Bett legte, platzte mir morgens die Fruchtblase. Es trat eine große Menge leicht blutige Flüssigkeit aus und ich bewegte mich nur noch sehr wenig und zog mir nur etwas über. Mein Mann informierte den Rettungsdienst und wir riefen im Krankenhaus an, um mich anzumelden. Die Rettungshelfer brachten mich auf einer Trage von unserer DG-Wohnung zum Krankenwagen, um dem möglichen Risiko eines Nabelschnurvorfalls vorzubeugen. Während der Fahrt begannen bereits die Wehen, mein Mann folgte kurz darauf mit seinem eigenen Wagen.
Im Krankenhaus kamen wir um 9.00Uhr an, dann wurde ich zunächst von der diensthabenden Ärztin und den Hebammen untersucht. Dabei wurden die Wehen schnell stärker und die Abstände verringerten sich. Da die Ärztin bei der Untersuchung immer wieder Schwierigkeiten hatte die Herztöne meines Babys zu finden, gab sie mir nicht die Freigabe für die Hebammen geleitete Geburt und teilte mir mit, dass sie mich weiter betreuen wird. Ich war darüber erleichtert, da ich bereits große Schmerzen hatte und unsicher war, da es sich um meine erste Geburt handelte. Die Untersuchung des Muttermunds zeigte, dass dieser sich ungewöhnlich schnell öffnete. Ich durfte nur einmal die Gebärposition wechseln, weil die Hebammen und Ärzte immer wieder versuchten die Herztöne meines Sohnes zu lokalisieren, was wohl auch kurzzeitig gelang. Ca. 1,5 Stunden versuchten das Team mich bei der natürlichen Geburt zu unterstützen. Ich hatte früh unglaublich große Schmerzen, ich musste aufheulen und mir wurde übel. Ich bekam richtig Angst um mein eigenes Leben, denn es fühlte sich an als zerriss ich innerlich, es war furchtbar beängstigend und schmerzvoll. Es wurde auch eine Elektrode am Köpfchen unseres Lieblings befestigt, um seine Werte zu überprüfen, leider hielt diese nicht. (Er war auch noch zu weit oben im Geburtskanal, um eine Saugglockengeburt durchzuführen, obwohl der Muttermund sehr weit geöffnet war, teilten mir die Ärzte bei der Besprechung am November 2014 mit). Schließlich wurde, als die Herztöne wieder schlecht waren, von einem Arzt ein Bluttröpfchen von seinem Kopf genommen, um die Sauerstoffsättigung zu untersuchen. Sie teilten mir auch mit, dass ich wahrscheinlich einen Kaiserschnitt bekommen würde. Aber keiner erwähnte wie kritisch die Lage bereits wohl sein musste. Dann ging alles sehr schnell…
Mein Mann der bei der Geburt bis dato anwesend war, sprach von ca. 4 Minuten bis sie den Notkaiserschnitt durchführten. Da ich unmittelbar nach dem schlechten Blutuntersuchungsergebnis unseres Babys den betäubenden Narkosesaft erhielt, kann ich mich nach dem Umlegen auf die Transportliege an keine weiteren Schritte des Geburtsvorgangs erinnern.
Er musste leider laut Geburtsbericht wiederbelebt werden, da er durch den großen Sauerstoffmangel während der Geburt sehr gelitten hatte und nicht von selbst anfing zu atmen. Was die genaue Ursache dafür war, wissen wir bis heute nicht mit Sicherheit.
Auch mein Mann konnte seinen Sohn direkt nach der Geburt nicht sehen, wie er von einer Ärztin und Schwester abgeholt wurde, um ihn auf die Kinderintensivstation der Kreisklinik im Nachbarort zu verlegen. Sie machten jedoch Bilder die sie dem besorgten Vater gaben. Darauf sieht man unsern neugeborenen kleinen Kämpfer, weiß-bläulich und intubiert, regungslos in einem Inkubator liegen. Mein Mann fuhr, nachdem ich aufgewacht war, in die Klinik zu ihm. Ich konnte auf Bemühen meines Mannes noch in der gleichen Nacht zu unserem Sohn verlegt werden.

Das Gespräch über den Geburtsablauf, das im Monat darauf stattfand, als unser Sohn noch immer auf der Intensivstation lag, sorgte leider eher für mehr Verwirrung als für Klärung. Die Situation, die jeder Schwangeren Angst macht, heute nur noch selten eintrifft, uns hat sie vollerwischt. Nur wenige Millimeter, wenige Minuten entfernt vor dem größtmöglichen Schicksalsschlag. Und keiner weiß angeblich warum. Es wurden verschiedene Möglichkeiten (u.a. Plazentainfarkt, Nierendefekt in der SS) benannt, die zu dem massiven Sauerstoffmangel mit beginnendem Organversagen und Hirnödem führen gekonnt hätten. Die Ärzte schlossen einen Nabelschnurvorfall aus. Aber gegen alle anderen Hypothesen würde immer etwas sprechen z.B. sei für eine (teilweise) Plazentaablösung zu wenig Blut im Bauchraum gewesen. Der Direktor der Abteilung erwog sogar, ob meine Frauenärztin etwas im Vorfeld übersehen hätte ( – diese Schuldzuweisung finden wir nicht angemessen!) “

Keine klare Antworten nur ein großes Fragezeichen – Drei Monate verbrachten wir mit dir in drei Kliniken. Eine Zeit der Angst und Ungewissheit, die – bei aller Ruhe in den letzten zwei Jahren – nie völlig vorüber ist. Wir werden immer wieder gefragt, wie es denn dazu kommen konnte, aber wir wissen bis heute nichts Genaues. Feststeht nur, dass unser einst quicklebendiger, gesunder Sohn aufgrund dieser „unfallartigen“ Geburtsgeschehnisse dauerhaft auf Medikamente und Unterstützung angewiesen sein wird. Wir sind auch dankbar, dass er lebt und seit drei Jahren bei uns ist. Nur ist es so schmerzhaft zu wissen, dass ein schnelleres ärztliches Handeln das Ausmaß seiner Behinderung und chronischen Erkrankung wohl verringert hätte. Und wir nie erfahren werden was für ein Mensch er ohne dieses Paket geworden wäre.


Du lachst, weil jemand die Hupe deines neuen Rutschautos drückt. Ich lächle mit…..           „Wie schön, dass wir zusammen sind. Wir gratulieren dir Geburtstagskind.“

Grau-bunte Erinnerungen im Herbst

20171007_123006Goldener Sonnenschein, bunte Weinberge, angenehme Temperaturen und leuchtende lila Astern. Ich liebe es, wenn es Herbst wird. Dann lesen wir bei den Schwiegereltern Äpfel zusammen, hölen gemeinsam zu Hause Kürbisse aus, und ich krümmele Streusel über Zwetschgendatschi. Das macht mir schon immer viel Spaß in dieser Jahreszeit. Schöner kann es nur noch mit Kindern werden: Kleine Hände, die Kastanien sammeln, mit Gummistiefel in Pfützen hüpfen, über die Felder mit dem Drachen rennen, wie in meiner Kindheit. Auf all das habe ich mich sehr gefreut.

Vor vier Jahren schien diese langgehegte Sehnsucht dann endlich wahr zu werden. Ein kleiner Mensch war endlich bei mir eingezogen und wir platzten förmlich vor Glück und Vorfreude. Auf dem Herbstmarkt gab ich Acht; kein Quittensekt oder Rohmilchkäse sollten es sein. Ich stöberte durch den Bücherstand und sah mir wundervolle Ideen für Spielgärten an, bewachsene Weidentippis und ausgefallene Baumhäuser. In Gedanken sah ich unseren kleinen Robin Hood oder eine freche Merida schon durch die Wiese am Waldrand streifen.

Zum Geburtstag meines Mannes verrieten wir dann unser süßes Geheimnis. Störche hatte er geschmiedet und das war einfach eindeutig. Unsere Familien waren mit uns im Glück, schon im Frühsommer würden sie Großeltern werden. Mit meiner Mutter ging ich auf einen schönen Kunsthandwerkermarkt im einem alten Fachwerkhaus bei Vaihingen, bei dem ich ihr schon als kleines Mädchen eine niedliche  Babypuppe aus Stoff abgebettelt habe. Jetzt erwartete ich selbst ein Baby und schaute selig den anderen jungen Familien dort im Café zu.

Doch auch graue Tage, düstere Nebelschwaden,  kalter Wind und Regenschauer gehören zum Herbst.

Und nur wenige Tage danach brach all das zusammen: Beim nächsten Termin bei meiner Frauenärztin war kein Herzschlag zu sehen. Mein kleines Würmchen, wie ich das Minibaby getauft hatte, hatte sich still und leise davon gemacht. Ich fiehl in ein unglaublich tiefes Loch, das scheinbar keinen Boden besaß, noch nie hatte ich mich hilflos,  zerbrechlich und einsam gefühlt.

Mein Mann hatte Gott sei dank frei als die Kürettage vorgenommen wurde, zu der wir vom Facharzt gedrängt wurden. – Hätte ich nur früher gewusst, dass im nahegelegenen Krankenhaus eine Beisetzung und Trauerfeier möglich gewesen wäre auch für Sternenkinder von frühen Fehlgeburten. –

Mein Mann war wie ich unsagbar traurig und enttäuscht über das jähe Ende der 11 wöchenigen Schwangerschaft. Er legte mit die Hand auf den Bauch zum Abschied von unserem ersten Kind. Die Arbeit danach lenkte ihn ab, ich aber blieb wie gelähmt in meiner Schockstarre. Es war als wäre ein Teil von mir mit gestorben.

Auch in der Vorweihnachtszeit blieb dieses Gefühl der Leere . Nichts vermochte mir Trost oder Halt zu geben. Ich begann eine Kunsttherapie und bemühte mich meinen aus dem Gleichgewicht gekommen Körper wieder auszutarieren. In der Adventszeit versuchte ich mich mit schönen Dingen abzulenken, doch  meine Seele schmerzte noch immer.  Ist Weihnachten nicht ein Geburtsfest, das eine junge Mutter und ihr neugeborenes Kind feiert?  Warum konnte es nicht bei uns bleiben, unser Wunschkind? Manche sprachen von natürlicher Auswahl und dass das Baby vielleicht behindert gewesen wäre. Doch hätten wir es nicht auch in diesem Fall geliebt? Auch während des  Jahreswechsel, den wir mit Freunden am Elbufer feierten, steckte ich in meinen grauen Nebelschwaden.

Ich hatte keine Ahnung was noch auf uns zu kommen würde im darauf folgenden Jahr. Nie hätte ich erwartet wieder so schnell schwanger zu werden. Meine Unbeschwertheit hatte ich zunächst verloren, nach drei Monaten kam sie langsam zurück. Im Herbst wird er bei uns sein, der kleine Räuber. Was für eine Freude!

Welche furchtbaren Wochen, Tage voller Angst und Trauer uns noch bevorstehen würden, wie gut dass wir das nicht wussten.

Drei Jahre ist das nun her. Und trotz allen Hindernissen ist er bei uns geblieben.  Er kann keinem Drachen hinterher rennen oder in Pfützen springen.  Aber Lachen wie die goldene Herbstsonne, wenn er die tanzenden Baumwipfel sieht oder hört wie seine kleine Babyschwester neben ihm raschelt.

Herzlichen Glückwunsch zum dritten Geburtstag großer, kleiner Bruder.

Wir lieben dich, du tapferer Räubersohn. Du und die kleine Miss ihr seid unser größtes Geschenk und Glück.

 

Nachtrag: Auch mit der kleinen Miss bin ich vor einem Jahr ganz unverhofft um diesen Dreh herum schwanger geworden.  Und da waren natürlich wieder die Bilder und Ängste in meinem Kopf. Ich habe nur ganz wenige eingeweiht und selbst den Großeltern erst kurz vor Weihnachten von meinem besondern Überraschungspäckchen erzählt. Dass bei ihr alles so gut lief, war sehr heilsam für uns alle.