Zugegeben, eigentlich mochte ich Neues schon früher ganz gerne. Von Natur aus bin ich neugierig auf andere Länder, fremdes Essen, andere Ethnien und Religionen, Musik und Filme aus dem Ausland. Das ist jetzt teilweise noch so, auch wenn vieles nun eben einfach nicht mehr geht, wie das ausgedehnte, individuelle Reisen zum Beispiel. Anderes konnte ich mir erhalten: Ich singe noch, schreibe ich noch, wie man sieht (nur weniger an Forschungspublikationen) und ab und zu komme ich noch zum Backen oder Schokolade wieder runter tanzen. Meinem Mann geht es ähnlich und er beschwert sich auch nur ganz selten. Es ist schön, dass wir uns ein paar Hobbies erhalten konnten – was auch nur mit viel Hilfe von Außen u.a. Verhinderungspflege gelingt.
Doch emotional und vor allem beruflich wurde ich, als Mama von einem chronisch kranken Kind, völlig aus der Bahn geworfen. Zwei Jahre zu Hause bzw. in diversen Arztpraxen, Kliniken etc.. Grundpflege, die sich bei uns (dank der Schluckstörung und Spastiken) stundenlang hinzieht, Medikamente richten und geben, Spucktücher waschen, Blutwerte kontrollieren, Tabellen füllen, Termine koordinieren, vierteljährlich Pflegeberatungsgespräche führen, Arztbriefe scannen, Übungen turnen, um Rezepte und Verordnungen bitten, immer wieder in Warteschleifen hängen.
Ganz ehrlich, ich empfinde mein Hausfrauen-Pflegemutter-Dasein an vielenn Tagen nicht besonders befriedigend. Die Rechnung: Voller Wäschekorb und Terminkalender gleich erfülltes Leben, geht nicht auf. (Vielleicht würde ich ihm mehr abgewinnen, wenn ich ab und zu eine Antwort bekäme, mich jemand Mama nennen oder zum Spielen oder Vorlesen auffordern würde?) Und das wird sich voraussichtlich auch so schnell nicht ändern.
Also zurück in den Beruf, doch wie soll ich wieder Anschluss finden?
Jetzt, da unser Kleiner halbtags in eine sonderpädagogische Kita gehen darf, steht der Wind eigentlich günstig, um wieder arbeiten zu gehen. Die Frage, die sich alle Mütter und zunehmend auch Elternzeit-Väter stellen, scheint mit Schwerbehindertenausweis im Geldbeutel und einem straffen therapeutischen Förderplan (der im Wandkalender in rot eingetragen gleich zwei Spalten braucht) nicht gerade einfacher zu werden. Welcher Arbeitgeber „freut“ sich über eine Mama mit behindertem Kind, das immer wieder ins Krankenhaus oder zur Reha muss?
Als Honorarkraft an Hochschulen zu unterrichten mal hier mal dort, ohne sichere Arbeitszeiten und mit befristeten Zeitverträgen? Unvorstellbar nicht zu schaffen. Auch eine 100% Konzentration und Vollzeitanstellung ist schwer bis unmöglich, wenn menschlich und medizinisch oft Wichtig(er)es im Raum steht.
Ich spüre, ich muss mich umorientieren, ganz im Foxschen Sinn ALLES NEU. Aber irgendetwas ‚komm wat will‘ zum Broterwerb möchte auch nicht machen. Es muss schon etwas mit Sinn, mit Mehrwert sein, mich keiner „vergeudeten Lebenszeit“ schuldig machen, wie es meine Professorin einst sagte. Ich möchte nützlich sein, meine neuen und wieder abgestaubten Fähigkeiten (z.B. in der Rhetorik), die ich im Ämter- und Versicherungskampf erworben habe, zielführend einsetzen.
Aber immerhin merkte ich eines, obwohl es schwer vorstellbar ist: Wenn das Leben auf dem Kopf steht, kann man tatsächlich neue Perspektiven bekommen…Auch, wenn die sich zunächst fremd und unbequem anfühlen. Eine Katharsis?
[In antiken Tragödien sollten die Zuschauerinnen durch das Miterleben der Leiden des Heros als Katharsis von ihren Gefühlen gereinigt werden. Psychoanalytiker wie Freud und Jung griffen den Begriff der Katharsis auf. Und noch heute meinen manche (Laien-)Pädagogen man könnte bestimmte Affekte wie Aggressionen einfach abbauen in dem man sie raus lässt, obwohl das Pustekuche – sorry Blödsinn inist – und im dümmsten Fall zu einer Verstärkung des unliebsamen Gefühls führt.]
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Kleine Frau was nun? Ich musste tief in mich gehen, habe meine eigene Heldenreise unternommen, Schluchten, Bergen und andere Hindernissen überwunden. Weggefährten gefunden und fühle mich nun bereit für Neues. Ja das hört sich pathetisch an, aber für mich sind das existenzielle Fragen. Den ganzen Sommer grübelte ich, ließ mich beraten von Freunden, Experten und suchte nach einer B-Seite meiner Schallplatte. Und das sogar mit Erfolg:
Nun habe ich tatsächlich eine Anstellung als Quereinsteigerin in einem pädagogischen Feld bekommen. 50 % und in einer Tätigkeit, die mich schon als Abiturientin gereizt hat.
Jetzt ist quasi alles auf neu. Und ich habe doch das Gefühl seit langen mal wieder bei mir selbst zu sein. Hoffentlich hält das lange an.
Fürchte nicht das Chaos,
denn im Chaos
wird das Neue
geboren.C.G. Jung
3 Kommentare zu „Alles auf Anfang. Ist das Chaos vielleicht eine Chance? II“